Als ich bei meinem ersten Embryonentransfer mit zwei anderen Personen im Aufwachraum lag und darauf wartete, an die Reihe zu kommen, unterhielten wir uns. Eine von ihnen sagte, es sei ihr vierter Versuch; sie habe immer viele Eizellen, aber die wenigsten würden überleben; die andere erzählte, dass dies ihr dritter Versuch sei – obwohl sie hochdosierte Hormone zu sich genommen habe, habe sie immer nur wenige Eizellen, diesmal nur eine, aber jedes Mal konnte bislang ein Transfer stattfinden, nur habe sich das Baby niemals eingenistet. Ich hörte zu, war zugleich ganz woanders. Gleich würde man mich hereinrufen und mir einen Embryo, der wenige Tage zuvor in einer Nährlösung zu wachsen begonnen hatte, in meine Gebärmutter einsetzen. Ich holte tief Luft, fühlte Kraft und Zuversicht, Angst, Zweifel, Zugehörigkeit und Unzugehörigkeit und das alles auf einmal.
Eine von den beiden Wartenden reagierte auf meine angespannte Körperreaktion, sie zuckte ermutigend mit den Achseln und sagte, mit dem bestimmt aufrichtigen Wunsch, mich und vor allem sich selbst zu trösten – „Wenn es heute klappt, ist in 9 Monaten all das vergessen“. „Das hoffe ich nicht“, erwiderte ich.
Ich widme diesen Text Allen, die diesen Weg, dessen Ausgang so ungewiss ist, mit mir gegangen sind und denen, die ihn noch gehen. Mögen wir nicht vergessen, was wir erlebt haben, machen wir es zum Teil unserer Geschichte, lassen wir zu, dass es uns verändert und uns prägt, aber uns niemals beherrscht. Mögen alle Wege, die sich an diesem Ort verzweigen, früher oder später zu dem erhofften oder aber einem ganz anderen Glück führen, mögen wir die Kraft besitzen, ein jedes Glück von seiner Rückseite zu betrachten, mögen wir Umwege nehmen und Erschütterungen erleben, mögen wir aufstehen und weitergehen und all das nicht vergessen, damit wir unseren Kindern davon erzählen können! Es ist ihre Geschichte, weil es unsere ist.
Die Gespräche im Warteraum hören sich für unerfahrene Ohren wahrlich seltsam an. Embryonentransfer, Eizellenzahl, Hormonstimulation – diese Vokabeln gehören zum Alltag, wenn man sich in die Welt einer Kinderwunschklinik begibt, und man beherrscht sie schnell. Den Gang dorthin wünscht sich niemand und doch sind die Zahlen derer, die in solchen Kliniken ein und aus gehen, hoch.[1] Statistisch gesehen ist eines von sechs hetero-Paaren unfruchtbar, was nach klassischer Definition zunächst bedeutet, dass nach 1,5 Jahren ungeschütztem Geschlechtsverkehr um den Eisprung herum keine Schwangerschaft eingetreten ist. Nun kennt vermutlich jede*r Geschichten von Paaren, bei denen es zwei Jahre oder noch länger gedauert hat, bis sie auf natürlichem Wege schwanger wurden – insofern gilt für diese in die Irre führende Definition grundsätzlich: „Unfruchtbarkeit“ ist in einer weit gefassten Bestimmung des Begriffs potentiell vorübergehend. Diagnostizierte physiologische Einschränkungen können allerdings zu größeren Herausforderungen führen, die sich mit Geduld allein nicht bewältigen lassen.[2] Hier kommt die Unterstützung von ausgebildeten Reproduktionsmediziner*innen ins Spiel: Mit ihrer Hilfe ist auch eine auf physiologische Ursachen zurückführbare und somit im engeren Sinne gefasste Unfruchtbarkeit überwindbar. Die rege inner- und außereuropäische Erforschung der Möglichkeiten zur Überwindung von Unfruchtbarkeit hat in den letzten Jahrzehnten zu einer Bandbreite von Behandlungsoptionen geführt, die hier auszuweiten, den Rahmen meiner Auseinandersetzung sprengen würde.
Der Weg ins Leben ist verbunden mit der Intimität zwischen zweien und mit einem Ursprungsmythos, auf dem unsere Kultur basiert. Ein Paar wünscht sich ein Kind – oder auch nicht – und früher oder später tritt eine Schwangerschaft ein. Die werdenden Eltern freuen sich (oder auch nicht) und das zur Welt gekommene Kind bekommt in seinem Leben Sätze zu hören wie: „…und dann war ich plötzlich schwanger“, „Du warst gewollt“, „Du warst ein Unfall“, „Du hast uns einfach gefunden“, usw. Solche Sätze werden zu einem wesentlichen Bestandteil der Lebensgeschichte; die Frage, warum wir auf der Welt sind, bestimmt unser Dasein, ob bewusst oder unbewusst.
All diesen Sätzen ist gemein, dass der Zufall[3] entschieden hat, wann das Leben eintritt.
Auch wenn es im Rahmen sexueller Aufklärung anders gelehrt wird, wissen wir mit zunehmendem Alter, dass bei einem fruchtbaren Paar nicht notwendigerweise jeder Verkehr zu einer Schwangerschaft führen muss, dass nicht jeder Zyklus eine lebensfähige Eizelle hervorbringt, dass nicht jede Befruchtung zu seiner Einnistung führt. Es bleibt dem Zufall überlassen und viele Faktoren müssen dabei harmonisch zusammenspielen. Natürlich kann eine Schwangerschaft beim ersten Versuch eintreten, doch ist oftmals eine gewisse Wartezeit bei der Familienplanung natürlicher und nicht selten überraschender Bestandteil.
Beim Schreiben dieses Textes; bei all den Versuchen einer Objektivierung und Versachlichung merke ich, wie dieser abstrakte Blick immer wieder verschwimmt und wie sich die Bilder meiner eigenen Erfahrung davorschieben. Daher möchte ich bei mir bleiben und am Anfang beginnen:
So war es auch für mich überraschend, dass ich nicht gleich schwanger wurde, als wir mit Mitte 30 die Verhütung wegließen. Wir wunderten uns nach den ersten Versuchen noch nicht, sondern integrierten das Warten und die Zuversicht in unsere Versuche. Nachdem wir es fast 1,5 Jahre erfolglos versucht hatten, obwohl ich nach circa einem Jahr im Rahmen einer Zyklusüberwachung definitiv einen Eisprung hatte, wich unsere Zuversicht. Auch mein Mann ließ sich untersuchen und gab ein Spermiogramm ab. Der Urologe rief an, als wir gerade in der Bahn waren. Eigentlich sollte das Ergebnis erst in einer Woche da sein, aber er hielt es offenbar für notwendig, uns die Nachricht so schnell wie möglich mitzuteilen: Es befanden sich keine Samen im Ejakulat. Was das zu bedeuten hatte, wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Es war ein Tiefschlag, unfassbar, und zugleich eine klare Antwort, die der allmonatlichen Ratlosigkeit, dass erneut keine Schwangerschaft eingetreten war, etwas entgegensetzte.
Was nun?
Für mich war die Welt der Reproduktionsmedizin, bevor ich sie betrat, ein Mysterium. Kinderwunschkliniken stehen wie geheimnisvolle Burgen mit dicken Mauern in größeren Städten herum und sind im klassischen Sinne Foucaults wohl am ehesten als Heterotopien zu bezeichnen: Sie verfügen über Zutrittsregeln und in ihnen herrscht eine andere Zeit, eine andere Gegenwart, eine andere Sprache. Betreten wir sie, befinden wir uns in einem Paralleluniversum. Hier sitzt man im Wartezimmer und die anderen Patient*innen sind verschwörerische Kompliz*innen, stehen am Anfang wie man selbst, füllen scheu und diskret Fragebögen aus, die der Vermessung des fruchtbaren Leibes dienen.
Oder sie sind an einem anderen Punkt, fortgeschritten in der Behandlung, und damit meilenweit von den Anfänger*innen entfernt. Sie gehen in der Klinik ein und aus, bringen die vielen Termine in ihren Mittagspausen unter oder schreiben routiniert mit dem Laptop auf dem Schoß Mails aus dem Wartezimmer, bis sie an die Reihe kommen.
Was den Ort der Reproduktionsmedizin jedoch vor allem als anderen Ort bestimmt, ist die Tatsache, dass der intime Akt der Zeugung dort suspendiert ist. Er wird vom Privaten ins Öffentliche verlagert. Die Liebenden werden zu Patient*innen. Und es ist klar, dass das Leben, das hier entsteht, immer einen Dritten involviert.[4]
An diesem Anfang standen wir. Die einzige Möglichkeit, ein gemeinsames, genetisch von uns abstammendes Kind zu bekommen, würde sein, dass sich mein Mann einer Operation unterziehe, einer sogenannten TESE (testikuläre Spermienextraktion), bei der über die Entnahme aus dem Hodengewebe ermittelt werden könnte, ob sein Körper Spermien produziert. Diese würde man dann in einem Labor aufbereiten und könnte sie für eine künstliche Befruchtung verwenden.[5]
Für mich bedeutete dieser Weg, dass ich mich einer Hormontherapie unterziehen müsste. Wenn tatsächlich Samen über eine testikuläre Spermienextraktion gewonnen werden können, dann ist eine Verschmelzung mit der weiblichen Keimzelle nur extracorporal möglich. Und für diesen Schritt ist es notwendig, Eizellen aus dem Körper der Frau zu entnehmen.
Mit diesem Wissen verließen wir die Klinik, machten uns selbst weiter schlau, studierten Studien, Erfolgsquoten, Kosten.
Wir hatten Zweifel an diesem Weg. Ich hatte Zweifel. Ich verstand mich selbst eine ganze Weile falsch und glaubte, ich hätte Angst vor dem Eingriff, vor der OP, die meinen Unterleib, die intimste Zone meines Körpers beschädigen könnte. Diese Sorge hatte ich sicherlich auch, doch nach einer langen Auseinandersetzung mit meinen Zweifeln wurde mir bewusst, dass die Tränen und die Verzweiflung damit zusammenhingen, dass sich mein Körper von der Vorstellung verabschiedete, den Weg in eine Schwangerschaft – wie vermeintlich alle anderen – auf natürliche Weise zu gehen. Von der Vorstellung, einander nah zu sein, einander zu lieben, einen romantischen Liebesakt zu vollziehen, einen Höhepunkt und körperliche Intimität zu erleben; unsere Liebe und schließlich die Überraschung mit der Entstehung unseres Kindes in Verbindung zu bringen. Meine Verzweiflung war Trauer und meine Trauer war ein Abschied von dieser Vorstellung.
Wir dachten viel nach und sprachen miteinander. Welcher war der natürlichste Weg, auf unnatürliche Weise schwanger zu werden? Wäre es nicht „natürlicher“ auf eine Samenspende zurückzugreifen? Ohne einen Eingriff in meinen Körper könnte eine Eizelle befruchtet werden. Die Befruchtung würde dann nicht extracorporal stattfinden, sondern im Körperinneren. Die Form oder vielmehr der Schein eines geschlossenen Körpers würde gewahrt werden.
Nach der Auseinandersetzung mit einigen Samenbanken, einem Account und der Aktivierung der dort angelegten Suchmaschine, bei der wir Samenspender ermitteln konnten, die meinem Mann ähnliche äußerliche Merkmale aufwiesen, verspürten wir ein anderes Unbehagen: Die Mischung aus sozialer Plattform und Versandhaus und dem Gedanken, dass sich potentielle Halbgeschwister irgendwo auf der Welt begegnen könnten, ohne davon zu wissen, brachte nicht das erhoffte Gefühl einer Überzeugung.[6]
Ein gewisses Unbehagen bleibt wohl bei allem, was man tut – weil all diese Wege nicht sind, was man sich auf dem Weg der Familiengründung wünscht; weil jeder Weg die Einbeziehung von Menschen bedeutet, die natürlicherweise nicht mit dem Akt der Zeugung verbunden wären.
Und so ist es in gewisser Hinsicht egal, welche Abzweigung man wählt: Es ist stets die Bereitschaft notwendig, Hilfe zuzulassen. Zu akzeptieren, dass sie notwendig ist. Ohne dabei an seiner eigenen Körperlichkeit, und vor allem an seiner eigenen Fähigkeit zur Elternschaft, zu zweifeln.
In dieser Zeit starb mein Vater, eine Erschütterung und ein Abschied, der mich wohl für immer verändert hat. Ich schickte einer Freundin ein Foto von ihm und sie schrieb mir, dass sie nun wisse, von wem ich meine besonderen Augen hätte. Als wir bei meinem Schwiegervater saßen und ein Fotoalbum durchblätterten, sah ich ein Foto meines Mannes, wie er sechs oder sieben Jahre alt war. Ich war gerührt von dem Anblick, der Ähnlichkeit mit dem Mann, in den ich mich verliebt hatte, das zugleich Kindliche. Diese beiden Erfahrungen trugen dazu bei, dass wir uns bereit fühlten für einen Versuch, dem Leben über den Weg einer Gewebeentnahme eine Chance zu geben.
Wir entschieden uns, mit allen Vorbehalten, die wir hatten, für die Operation. Die entnommenen Gewebeproben brachten einen positiven Befund – mein Mann produzierte Samen – und ich begann mit der Behandlung.
Den Medikamenten stand ich kritisch gegenüber. Bereits mit Mitte zwanzig hatte ich die Pille abgesetzt und bemerkt, welchen gravierenden Einfluss eine regelmäßige Hormongabe bei mir hatte. So kostete es mich zusätzlich Überwindung, erneut auf Hormone zurückzugreifen. Ich hatte viel gelesen und mein Wunsch war es, niedrig dosiert zu beginnen, um zu sehen, wie ich die Medikamente vertragen würde.
Die Wahl der Ärztin oder des Arztes war sehr wichtig für mich. Es musste jemand sein, die oder der mich mit meinen Vorbehalten und Ängsten ernstnahm, mir bereitwillig Rede und Antwort stehen würde und sich auf eine gewisse Mitbestimmung meinerseits einlassen müsste.
Es entspricht einem zeitgenössischen Hebammenkodex außerhalb der klinischen Geburtshilfe, Geburten selbstbestimmt zu erleben. Das beinhaltet, dass die Gebärende sich selbst das nötige Wissen aneignet und/oder ihrer Intuition vertraut. In einer Schwangerschaft erfahren wir Grenzen und Grenzüberschreitungen sehr deutlich – was will ich, was will ich nicht, was ist gerade gut für mich, mit welchen Menschen möchte ich mich umgeben, was kann ich essen, wie entwickelt sich mein Baby, was spüre ich, was sagt es mir?
Wenn der Weg in die Schwangerschaft bereits auf eine so besondere Weise begleitet wird und Menschen Einfluss darauf nehmen, dann gehört es genauso dazu, gut informiert zu sein, mitzubestimmen, in sich hineinzufühlen, den eigenen Körper unter diesen Umständen kennenzulernen, und Vertrauen wachsen zu lassen, um in den richtigen Momenten die Kontrolle abgeben zu können. Gleichzeitig ist es ein Akt fortwährender Selbstbemächtigung, die Untersuchungen, Beurteilungen, Vermessungen des eigenen Körpers und seiner Funktion im Hinblick auf Fruchtbarkeit zuzulassen, ohne sich selbst dabei zu verlieren und sich nur noch als Summe seiner Befunde wahrzunehmen.
Der Arzt, den ich fand, stimmte meinem Wunsch, die Therapie mit niedrig dosierten Hormonen zu beginnen, zu. Begonnen wurde am dritten Blutungstag mit regelmäßigen subkutan verabreichten Spritzen in das Bauchfett. Mein Mann übernahm die Verabreichung; bis zum Schluss können wir nicht sagen, dass diese Momente schön waren, aber in ihnen entsteht eine andere Form von Vertrautheit. Wir ließen uns ein auf einen Prozess, dessen Ausgang ungewiss war, lernten uns in einer extremen Situation noch einmal anders kennen und gingen diesen Weg von Anfang an gemeinsam. Nach wenigen Tagen und regelmäßigen Ultraschallkontrollen kam eine weitere tägliche Spritze hinzu, die verhinderte, dass die bereits gereiften Follikel zu früh springen.
Im ersten Behandlungszyklus hatten wir zwei Eizellen, was im Grunde erwartbar gewesen war, aber trotzdem eine Enttäuschung für uns bedeutete. Doch ich hatte die Medikamente kennenlernen können und wusste sie nun einzuschätzen. Die Sorge vor einer signifikanten Wesensveränderung schwand. Anstrengend war es trotzdem.
Sind die Follikel auf eine bestimmte Größe herangereift, muss der Eisprung mit einem weiteren Wirkstoff, der ebenfalls als Spritze verabreicht wird, ausgelöst werden. 36 Stunden später erfolgt die operative Entnahme der Follikel mit einer Punktionsnadel aus dem Eierstock. Dieser Eingriff wird entweder unter einer Kurznarkose durchgeführt, kann aber auch bei Bewusstsein mit lokaler Betäubung stattfinden. Ich entschied mich für letzteres, weil ich den Prozess auf dem Weg zu unserem Kind bewusst begleiten wollte und die Anzahl der Eizellen so gering war, dass sich die Punktion auf wenige Minuten beschränken würde. Ich war sehr nervös und zweifelte auch an meiner Entscheidung, denn ich hatte natürlich Angst vor dem Eingriff. Aber ich hielt fest an dem Gedanken, dass eine wache Begleitung des Prozesses mir das Gefühl geben würde, dass ich diesen wichtigen Schritt bewusst gehe.
Der Arzt erläuterte mir jeden einzelnen Schritt, beschrieb, was als nächstes passieren würde und auf dem Ultraschallgerät konnte ich das Absaugen der Follikel mitverfolgen. Zwischendurch schloss ich die Augen, konzentrierte mich auf meinen Atem und konnte die Schmerzen auf diese Weise sehr gut aushalten.
Von den entnommenen Eizellen ließ sich eine befruchten und konnte mir am dritten Tag als Vier-Zeller wieder in die Gebärmutter gepflanzt werden.
Schon wieder muss ich innehalten und mich fragen, wie jemand diesen Text wohl liest, der noch nicht mit der reproduktionsmedizinischen Welt in Kontakt gekommen ist. All das muss fremdartig und ein bisschen wie Science-Fiction klingen.
Bei einer In-Vitro-Fertilisation werden Spermium und Eizelle zusammengebracht und verweilen in einer Nährflüssigkeit, die der des weiblichen Körpers ähnlich sein soll. Sie verschmelzen, so hofft man, miteinander (kurz IVF). Eine mittlerweile noch häufiger angewandte Methode ist die direkte Injektion des Spermiums in die Eizelle, die im wörtlichen Sinne künstlich herbeigeführte Befruchtung, kurz ICSI genannt (dies steht für intracytoplasmatische Spermieninjektion). Hier hofft man darauf, dass sich die Eizelle von dem injizierten Spermium befruchten lässt und sich weiterentwickelt. Die Entwicklung wird beobachtet und in unterschiedliche Qualitätskategorien klassifiziert, die Anhaltspunkte dafür geben sollen, aus welchem „Zwei-Zeller“, „Vier-Zeller“, Acht-Zeller“ usw. sich am wahrscheinlichsten ein gesunder Embryo entwickeln kann. Dieser wird, bevorzugt nach fünf Tagen, in der Nährflüssigkeit als Blastozyste zurück in die Gebärmutter gesetzt.
An diesem Punkt standen wir bei unserem ersten Versuch, man wartete aber aufgrund der geringen Eizellenanzahl nicht die fünf Tage ab, sondern entschied sich dazu, uns den Embryo[7] schon am dritten Tag zurückzugeben. An diesem Tag ereignete sich auch das oben zitierte Gespräch.
Leider war der Bluttest, der zwei Wochen später in der Klinik durchgeführt wurde, negativ. Statistisch erwartbar, trotzdem niederschmetternd, unendlich traurig, und eine kulturell nur mühsam repräsentierbare Verlusterfahrung.
An welchem Punkt beginnt das Leben? Zwischen welchen Polen bewegt sich die Wartezeit von zwei Wochen, in der wir stets mehr wissen als im natürlichen Zyklus, aber noch nicht genug: Wir, die wir uns einer Kinderwunschbehandlung unterziehen, wissen zu diesem Zeitpunkt, dass Spermium und Eizelle verschmolzen sind, dass sich der daraus entstandene Embryo in unserer Gebärmutter befindet, dass er sich einnisten kann. Tut er es nicht, fragen wir nach dem Warum.
Vor Menschen, die eine Fehlgeburt erlebt haben, erschien meine Trauer und ein Vergleich damit zynisch; für Menschen, die nach mehreren Versuchen auf natürlichem Wege schwanger wurden, bedeutet ein gescheiterter Versuch, auf den nächsten Zyklus zu warten – zweifelsohne kann auch dies zermürbend sein, doch in eine solche Geduldsprobe konnte ich mich auch nicht einreihen – und so stellt sich die Frage nach einem Maßstab, an dem ich meinen Verlust bemessen könnte. Wo steht ein gescheiterter Embryonentransfer? Wie kann ich davon erzählen? Wer kann mich verstehen? Und wie geht es weiter?
In Erfahrungsberichten anderer Frauen lese ich immer wieder die Frage nach dem Warum, die mit Selbstzweifeln und Problemdiagnosen korreliert wird. Und so wage ich ein leises, kollektives „Wir“: Wir reflektieren unseren vermessenen Körper. Was stimmte nicht? Wir fragen: Was haben wir falsch gemacht? Wir suchen eine Repräsentation dieser Verlusterfahrung und finden sie nicht. Wir zweifeln an uns.
Wäre es nicht einen Versuch wert, an dieser Stelle, die Ähnlichkeit zur natürlichen Zeugung und nicht die Differenz zu sehen? Die Frage, ob sich der Embryo dort einnistet oder nicht, hat nicht immer mit unserem Körperstatus zu tun, betrifft nicht nur die über Monate ermittelten Blutwerte etc. Vielmehr teilt er von diesem Moment an das große Geheimnis der Entstehung des Lebens natürlich gezeugter Kinder. Keine Ärztin, kein Arzt kann nach diesem entscheidenden Schritt für eine Einnistung garantieren, der*die Mediziner*in gibt die medizinische Potenz an dieser Stelle auf, und damit endet auch der Eingriff in den natürlichen Prozess und der Einfluss des Dritten.
Das tröstet im Moment eines gescheiterten Versuchs sicher nicht über den Schmerz hinweg, der einhergeht mit der enttäuschten Hoffnung, die man in diesen Versuch setzte. Aber es macht uns deutlich, dass die klare Trennung zwischen „künstlich“ und „natürlich“ nur bis zu einem gewissen Punkt aufrechterhalten werden kann.
Die psychische Belastung, die hinzukommt, betrifft den Vorgang selbst nicht. Sie ist deswegen nicht kleiner. Die Behandlung mit Medikamenten – eine Belastung für Körper und Seele, der invasive Eingriff, und vor allem, die finanzielle Belastung tragen zu der großen Verzweiflung bei einem gescheiterten Versuch bei.[8]
Nach einem Erholungsmonat für Körper und Seele, begann meine Blutung und damit unser zweiter Versuch, ein weiterer Behandlungszyklus.
Diesmal entschied ich mich für eine angepasste Dosis Hormongabe. Die erhöhte Medikation war spürbar, aber ich konnte die körperliche und psychische Belastung in unseren gemeinsamen Weg integrieren, bei mir bleiben und meinem Körper das geben, was er in dieser Zeit brauchte.
Der Tag der Punktion rückte näher und damit erneut die Frage, ob ich die Entnahme wieder ohne Narkose machen würde. Der Arzt begleitete uns mit seiner stets professionellen Sicht und der Möglichkeit, mir einen Entscheidungsspielraum zur Verfügung zu stellen, durch den die Therapie zu einem Teil von mir werden konnte. Ich entschied mich für eine Entnahme ohne Narkose und konnte erneut – bei vollem Bewusstsein – dabei sein und sehen, wie die Follikel abgesaugt wurden und in kleinen Röhrchen in das mit dem OP-Raum verbundene IVF-Labor gegeben wurden. Erneut erläuterte der Arzt, während er agierte, seine einzelnen Schritte, was mich erdete und mir Sicherheit gab.
Nach der OP ruhte ich mich aus – tief verbunden mit mir selbst, mit zaghafter, aber deutlich spürbarer Hoffnung, dass nun ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu unserem gemeinsamen Kind hinter uns lag.
Am nächsten Tag erfuhren wir, dass sich fast alle entnommenen Eizellen befruchten ließen (was in dieser Welt kein Gelingen garantiert) und man vier davon in die bereits erläuterte Blastozystenkultur geben würde (was in dieser Welt ebenso wenig ein Gelingen garantiert). Die anderen werden kryokonserviert, um zu einem späteren Zeitpunkt, sollte der Versuch erneut scheitern oder sollten weitere Kinder geplant sein, aufgetaut zu werden (noch einmal: Science-Fiction. Hybris. Und zugleich: soviel Hoffnung).
Dieser Versuch gelang! Knapp zwei Wochen später hielten wir einen positiven Schwangerschaftstest in unseren Händen. Und waren erfüllt von Glück.
Die Erfahrung einer künstlichen Befruchtung und eines solchen Weges in die Schwangerschaft ist prägend. Sie prägt die Schwangerschaft in hohem Maße und steht am Anfang der Biografie unseres Kindes.
Für diesen letzten Punkt gibt es wenige Repräsentationsformen. Der Beginn des Lebens hat einen klaren Ort auf unserer kulturellen Topografie und bislang gehören dort keine sterilen Kliniken dazu, sondern im besten (romantischsten) Fall ein locus amoenus, zu erkennen an zerwühlten Decken, Haaren und einem unverkennbaren Gesichtsausdruck; und wenn daraus ein Kind entsteht, so ist das der Höhepunkt der Intimität.
Doch auch die geteilte Erfahrung in einer Kinderwunschklinik kann und sollte ein Akt der Intimität und der Liebe sein. Es liegt viel Hoffnung in der Luft, aber eben auch das große Risiko, dass es misslingt – ein mögliches Misslingen, das sich nicht nur in Enttäuschung und Traurigkeit manifestiert, sondern auch in einer immensen ökonomischen Belastung.
Mein Mann und ich haben erfahren, auf welche Weise uns dieser Weg zusammengeschweißt hat, wir haben uns in Extremsituationen und unter großem Druck erlebt, bitter enttäuscht und im absoluten Höhenflug. Dieser Text ist auch eine Einladung dazu, diese andere Form der Intimität zuzulassen und sie zu erkunden. Es sind andere Momente der Liebe, und sie werden die zerwühlten Decken niemals ersetzen. Aber sie sind bedeutsam.
Über diese Erfahrungen zu sprechen und mit ihnen offen umzugehen, ist ein wichtiger Schritt. Wir haben erfahren, dass ein offener Umgang mit einem solchen Weg oftmals zur Folge hatte, dass jede*r irgendwen kennt, der eine ähnliche Erfahrung gemacht hat oder sogar selbst betroffen ist. Die Erfahrung selbst kann auch mit Einsamkeit verbunden sein; damit, zu glauben, man sei das einzige Paar auf der Welt, das für seine Familiengründung kämpfen muss.
Doch so ist es nicht. Wir müssen sichtbar werden und darüber sprechen, was wir erleben; auch darüber, was wir als belastend erfahren und was in einem solchen Paralleluniversum verändert werden könnte, damit wir uns wohler fühlen; welche Hilfe wir in einer solchen Phase eigentlich benötigen; wie wir eine infolge von künstlicher Befruchtung entstandene Schwangerschaft erfahren und was wir auf diesem Weg brauchen; welche finanziellen Mittel wir aufbringen, um einen solchen Weg zu gehen und ab wann der Weg aufgrund dessen versperrt sein kann oder sich aus diesem Grund erst gar nicht auftut; warum eine solche Behandlung überhaupt so teuer sein muss; welche Behandlungen wirklich medizinisch induziert sind und welche der Geldmühle, die mit einem der drängendsten und unbedingten Wünsche eines Menschen in Verbindung steht, einige Scheine mehr in die Hände spielt… Ich könnte diese Liste weiterführen und je länger sie wird, desto deutlicher wird die Ambivalenz, der wir ausgesetzt sind, wenn wir uns auf einen solchen Weg begeben.
Doch aller Ambivalenz zum Trotz kommt unser Kind in wenigen Tagen zur Welt! Als Paar gehen wir gestärkt und tief miteinander verbunden in diese Elternschaft; wissend, wie besonders es ist, dass uns dieses Glück zuteil wird. Diese Erfahrung steht am Beginn seiner Geschichte.
Galanthis de Sedici
lebt, denkt, liest und schreibt in einem kleinen Dorf in Italien. Sie befasst sich mit (Un-)Fruchtbarkeit und blickt dabei auf Geschichten und Zusammenhänge, die sie bewegen. Ihre mythologische Herkunft hat sie den Metamorphosen entlehnt, wo sie einst die Göttin der Geburt überlistete. In der Gegenwart befreit sie sich von ihrer Herkunft, ohne diese dabei aufzugeben und zwingt sich selbst in die Wirklichkeit hinein, um von ihr zu erzählen.
Anmerkungen
[1] Laut deutschem IVF-Register aus dem Jahr 2022 wurden inzwischen 388.716 Kinder nach In-vitro-Fertilisationszyklen geboren: „Dies entspricht den summierten Einwohnerzahlen der Städte Schwerin, Witten, Erlangen und Konstanz“ (Czeromin u.a., , S. 8).
[2] Manchmal werden Ursachen für eine ausbleibende Schwangerschaft auch nicht erkannt. In diesem Fall spricht man von idiopathischer Sterilität.
[3] Lies hier auch: die Fügung, die Gestirne, Fortuna, die Güte des Geschicks…
[4] Der „Dritte“ steht hier symbolisch für viele Hände, denn der Weg zu einem Embryonentransfer beinhaltet die Einbeziehung der Expertise von Reproduktionsmediziner*innen, Embryolog*innen etc.
[5] Bei dieser Operation fällt die Diagnostik mit der Behandlung zusammen. Nur über eine Operation lässt sich ermitteln, ob die Behandlung weitergehen kann oder nicht.
[6] Der Verlauf unserer Geschichte ist so individuell wie jede Geschichte, die sich hier schreibt, und die Überwindung sämtlicher Befremdungsmomente gehört, so wage ich kühn zu behaupten, zu dem Weg einer künstlichen Befruchtung dazu. Wir wussten an diesem Punkt nicht, wie unsere Geschichte weitergehen würde und hätten unter anderen Umständen vielleicht doch noch einmal auf die Option einer Samenspende zurückgegriffen. Daraus ergeben sich weitere und für sich genommene große und hier offen gelassene Fragen auf dem möglicherweise langen Weg zu einer Schwangerschaft: Welche Grenzen ziehen wir für uns? Welche Grenzen überschreiten wir? Wie verändert der tiefe Wunsch nach einem Kind unseren Blick auf einstmals gezogene Grenzen?
[7] Im reproduktionsmedizinischen Kontext spricht man ab dem Zeitpunkt einer erfolgten Befruchtung von einem Embryo, wenngleich es sich rein biologisch besehen um ein früheres Stadium des entstehenden Lebens handelt.
[8] Heterosexuelle Paare können je nach Krankenversicherung bis zu 50% der Behandlungskosten erstattet bekommen. Dafür müssen jedoch einige Bedingungen erfüllt sein: Der Mann darf nicht älter als 49 sein, die Frau nicht älter als 39, das Paar muss verheiratet sein, es muss klinisch nachgewiesen werden, dass eine Behandlung erfolgsversprechend ist. Selbst wenn die Kosten zur Hälfte übernommen werden, ist je nach Medikamentendosis mit Beträgen von bis zu 4000 Euro Eigenanteil für einen einmaligen Versuch zu rechnen.