Ich bin seit fünf Jahren Bonusmama – manche sagen auch Stiefmutter oder Ersatzmutter, aber ich finde, das trifft es nicht so richtig. Pflegemutter trifft’s auch nicht, zumindest nicht im gesetzlichen Sinne. Und seit fast zwei Jahren bin ich außerdem Sternenmama. Und dann bin ich auch noch mitten in einer Kinderwunschzeit. Ich weiß gar nicht so genau, wie ich das alles zusammenfassen soll, denn dafür gibt es eigentlich keinen richtigen Begriff. Aber irgendwie gehört das alles zu mir.
Ich weiß auch gar nicht so genau, wie lange ich diesen Kinderwunsch eigentlich schon in mir trage – oder wie lange ich glaube, ihn zu haben. Darüber habe ich noch gar nicht so richtig reflektiert. Was ich aber sicher sagen kann, ist: Ich finde alles daran herausfordernd. Vor allem, weil alles gleichzeitig stattfindet. Ich bin Bonusmama, Sternenmama und Wunschmama – alles auf einmal.
Sichtbarkeit der Mutterrollen
Wenn du mich fragst, wie sichtbar diese Mutterrollen im Außen sind – puh, das ist wirklich eine schwere Frage. Es gibt ja dieses Label „unsichtbare Mama“ für Mütter von Sternenkindern, aber damit kann ich überhaupt nichts anfangen. Nur weil man kein Kind an der Hand hat, heißt das ja nicht, dass man keine Mutter ist. Ich finde, Care-Arbeit – egal, in welcher Form von Mutterschaft – ist ohnehin viel zu oft unsichtbar. Und dann auch noch zu sagen, ich sei „unsichtbar“, ist wie eine doppelte Unsichtbarmachung. Das fühlt sich einfach nicht gut an.
Mein Kind ist natürlich für andere unsichtbar, aber ich selbst fühle mich nicht als unsichtbare Mama. Ich spüre ganz stark, dass ich Mama bin. Gleichzeitig merke ich aber, wie schwer es mir fällt, das im Außen zu zeigen – gerade in der Lohnarbeit zum Beispiel. Da tue ich oft so, als wäre ich keine Mutter. Manchmal erzähle ich schon was von meinen Herausforderungen, aber im Großen und Ganzen bin ich damit nicht wirklich sichtbar.
Das liegt aber nicht daran, dass ich mich als Person verstecken will, sondern eher daran, dass es keinen richtigen Raum gibt, in dem solche Themen verstanden werden. Es ist nicht klar, was es bedeutet, Bonusmama zu sein. Oder trauernde – oder besser gesagt: liebende – Sternenmama. Und wenn die Menschen das nicht wissen, wissen sie auch nicht, welche Fragen sie stellen können. Oder sollen. Und ja, das führt definitiv zu einer gewissen Unsichtbarkeit. Ich würde das aber eher als Einsamkeit beschreiben.
Diese Einsamkeit entsteht auch deshalb, weil Menschen einfach nicht wissen, was sie fragen sollen – oder was überhaupt relevante Themen sind. Es ist ja auch so: Vieles von dem, was ich als Mutter erlebe, findet im Privaten statt. Im Haus, in der Wohnung. Ich war heute Morgen zum Beispiel wieder auf dem Friedhof – da bringe ich einmal im Monat frische Blumen hin. Jetzt im Sommer auch öfter. Aber da bin ich allein. Da sieht mich niemand. Und selbst wenn mich jemand sehen würde – ich sehe ja nicht aus wie eine Mama. Ich könnte auch einfach jemand sein, die spazieren geht.
Bonusmama
Mein Bonuskind ist 16. Da bin auch nicht sehr stark präsent. Vielleicht schreibe ich mal eine E-Mail an die Schule – aber so richtig gibt es keine Überschneidungen mit anderen. Und das bedeutet, dass viele meiner sozialen Kontakte oder Freund*innenschaften keine wirklichen Berührungspunkte mit meinem Muttersein haben. Ich spreche über beide – über meinen Sohn und über mein Sternenkind. Aber das ist für viele schwer einzuordnen.
Beim Bonusmama-Sein ist es auch eine Form von Unsichtbarkeit. Viele Menschen leben in klassischen Familienmodellen – und wenn ich dann erzähle, dass ich das Kind meines Partners aufgenommen habe, dann ist das für viele schwer zu verstehen. Da ist keine „andere Mutter“, die auch präsent ist – wie man das beim Begriff „Bonus“ vielleicht erwarten würde. Aber natürlich ist da eine riesige Sehnsucht in meinem Bonuskind nach seiner leiblichen Mutter.
Lange habe ich gedacht, dass ich diese Aufgabe aus Liebe zu meinem Partner übernommen habe. Klar, sein Kind ist in Not – also war es für mich selbstverständlich, dass wir ihn aufnehmen. Aber inzwischen spüre ich: Da steckt auch eine eigene Gestaltungskraft drin. Ein Gefühl von Verantwortung. Von Würde. Es gibt eben Kinder, die haben nicht das Glück, mit ihren Eltern aufzuwachsen. Und ich finde, sie haben trotzdem ein Recht darauf, gut ins Leben begleitet zu werden.
Meine eigene Mutter ist übrigens auch mit einer Ersatzmutter groß geworden – in der DDR hat man das damals nicht so genannt, aber das ist mir in den letzten Jahren noch mal bewusst geworden. Es fühlt sich an wie ein Akt von Menschlichkeit. So ein „Why not?“ aus dem Herzen heraus.
Aber ich merke auch: Viele können sich nicht vorstellen, warum man das macht. Warum man sich so sehr aufopfert – und das für ein Kind, das nicht das eigene ist. Gerade in feministischen Kontexten ist Selbstverwirklichung ja ein großes Thema. Sich nicht abhängig machen. Frei sein. Karriere machen. Keine Familie gründen, wenn man nicht will. Und das finde ich total wichtig. Aber mein Weg ist irgendwie anders. Ich tue etwas für ein Kind, das nicht mein leibliches ist. Und das fühlt sich für viele nach Aufopferung an – nicht nach Feminismus.
Und vielleicht ist genau das der Kern meiner Einsamkeit. Und am Anfang hab ich ja auch oft gedacht: Mach ich das jetzt für meinen Partner? Für unsere Beziehung? Und ist das dann nicht total antifeministisch? Das war schon eine große Frage. Aber gleichzeitig war mir klar: Wenn ich mit diesem Mann zusammen sein will, dann gehören seine Kinder eben dazu. Da führt kein Weg dran vorbei. Unsere Beziehung würde keinen Sinn machen, wenn ich da irgendwie versuche, ihn vor die Wahl zu stellen. Ich will ja, dass er glücklich ist. Und das gehört nun mal zu seinem Leben. Also hab ich mich bewusst entschieden, diesen Weg mitzugehen – obwohl ich das mit meiner feministischen Haltung erst mal vereinbaren musste. Das war ein Prozess.
Ich hab in letzter Zeit viel über das nachgedacht, was Menschen oft sagen, wenn sie hören, was ich mache – so dieses „Ich könnte das ja nicht! Wie schaffst du das nur?“ Oder dieses „Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst“. Aber das ist es ja eben: Ich hab keine Kapazitäten, ständig darüber nachzudenken, was ich jetzt vielleicht brauchen könnte.
Was ich für mich als Vorteil erlebt habe, merke ich eigentlich erst jetzt – nach fünf Jahren. Ich kann ein Stück weit selbst definieren, wie viel ich geben möchte. Ich hab gelernt, anzuerkennen: Hey, ich mach total viel. Das reicht. Und als Bonusmutter hab ich ein bisschen mehr Freiheit, das selbst zu gestalten – auch um nicht in so ein Selbstaufopferungsding zu rutschen. Aber gleichzeitig war es oft auch schwer. Es gab viele Situationen, wo es sich ungerecht angefühlt hat. Weil ich mich freiwillig eingebracht habe – aber dann trotzdem nicht entscheiden konnte. Das war manchmal hart, weil ich es mir ja nicht ausgesucht hab, Mutter zu sein. Ich bin da reingerutscht, aus einer Notsituation heraus. Und das hat es nicht leichter gemacht.
Ich bin jemand, der viel Freiheit braucht. Ich brauch Rückzug. Ich kann nicht dauerhaft mit Menschen zusammen sein – auch nicht mit einem Kind. Und mit einem Bonuskind ist das eben auch so. Und da musste ich lernen, mich abzugrenzen, ohne ständig ein schlechtes Gewissen zu haben.
Wenn ich’s zusammenfassen müsste, was diese Beziehung für mich ausmacht: Ich bin daran extrem gewachsen. Es hat mich sehr zu mir selbst gebracht. Ich hab zum Beispiel gelernt, mit meiner eigenen Wut umzugehen. Ich dachte, das betrifft nur Frauen, die gerade Mütter geworden sind – aber ich hab das auch erlebt. Ich war plötzlich mit Emotionen konfrontiert, die ich vorher nicht kannte. Und ich habe verstanden: Das Kind spürt alles. Ich kann ihm nichts vormachen. Ich muss ganz bei mir sein, sonst funktioniert das nicht.
Ich finde, über Wut wird viel zu wenig geredet. Viele Mütter schämen sich dafür, weil Wut schnell mit Gewalt verwechselt wird. Aber Wut ist auch ein ganz natürliches Signal – dass eine Grenze überschritten wurde. Und ich glaube, es ist wichtig, das zu lernen: Dass das nichts mit fehlender Liebe zu tun hat. Sondern im Gegenteil: Dass es ein gesunder Teil der Beziehung sein kann.
Was diese Beziehung inzwischen ausmacht, ist eine gegenseitige Wertschätzung. Und langsam merke ich auch: Es wirkt. Dinge, die wir aufgebaut haben, tragen Früchte. Zum Beispiel hat er gerade die Schule gewechselt – auf eine alternative Schule mit offenen Klassen. Früher wäre das gar nicht gegangen. Und jetzt spüre ich so eine Dankbarkeit bei ihm. Oder wie er plötzlich anfängt, auf meinem Keyboard zu spielen – total schön. Ich weiß gar nicht genau, was davon von mir kommt, aber ich seh, dass es ihm gut tut. Und das zählt.
Sternenmama
Ich habe mein Kind im sechsten Monat verloren. Ich kam mit leichten Blutungen ins Krankenhaus, und nur zwei Stunden später habe ich mein Kind geboren. Und es war wirklich so – es hat niemand richtig mitbekommen. Es lief irgendwie komplett unter dem Radar.
Ich wundere mich bis heute, dass im Krankenhaus niemand reagiert hat. Sie haben mich aufgenommen, ich hatte dann Wehen, aber es wurde nicht ernst genommen. Ich lag da einfach, in Ruheposition. Einmal wurde eine Wehenmessung gemacht, aber die Aussage war: „Nicht stark genug.“
Ich habe mich in dem Moment einfach nicht ernst genug genommen gefühlt. Es war auch dieses Bild von „Ich möchte keine Umstände machen“. Wenn mich jemand nach dem Schmerzlevel fragt, dann sage ich lieber eine niedrigere Zahl. Vielleicht hätte ich strategisch mehr sagen müssen, damit man mich ernster nimmt.
Im Nachhinein hat sich medizinisch kein klarer Grund ergeben. Es war einfach „eines dieser Dinge, die passieren“.
Ein Moment ist mir besonders in Erinnerung geblieben: Etwa eine halbe Stunde bevor mein Sohn kam, hat das Krankenhauspersonal schließlich erkannt, dass es wirklich eine Geburt ist. Ich wurde in einen Geburtsraum gebracht, und man sagte mir: „Sie können jetzt alle Schmerzmittel bekommen, die Sie möchten.“ Und da wurde mir erst so richtig klar: Okay, er wird nicht leben. Und das passiert jetzt wirklich.
Und dann – in dem Moment, als die Hebamme den Raum verließ – kam mein Kind. Ganz allein. Mein Sohn und ich haben das komplett zusammen gemacht. Unsere Körper wussten genau, was zu tun war. Und er war einfach noch zu klein, um leben zu können – in der 22. Woche.
Was mir danach geholfen hat? Es gab viele schöne und kraftvolle Momente.
Zum Beispiel hatten wir eine Bestatterin, die auch Hebamme war – was ich vorher nie bedacht hatte. Aber es macht total Sinn: Sie begleitet Menschen in Übergängen. Sie hat uns begleitet, hat Fotos gemacht, war einfach mit uns da. Sie hatte eine unglaubliche Ruhe und Klarheit.
Was mir auch sehr geholfen hat, war, dass meine Mutter gekommen ist – obwohl unser Verhältnis zu der Zeit eher brüchig war. Sie hat sich einfach in den Zug gesetzt und ist zwei Tage später bei uns gewesen. Ich wusste vorher nicht, ob ich das überhaupt möchte oder aushalte. Aber diese bedingungslose Geste war unglaublich heilsam.
Wir haben dann einen kleinen Kühlschrank zuhause gehabt, um unser Kind noch ein paar Tage bei uns zu haben – bis zur Beerdigung. Er lag in einem Wasserbecken, wir haben täglich das Wasser gewechselt, ihn gehalten. Diese körperliche Nähe, obwohl er nicht mehr lebte, war sehr wichtig für mich. Das hat mir geholfen, mit der Plötzlichkeit klarzukommen.
Mein Partner hat einen Sarg gebaut. Wir haben selbst die Beerdigung gemacht. Auch das war wichtig: dass es unser eigenes Ritual war, dass wir das in unseren Händen hatten.
Ich habe mich außerdem entschieden, dass unser Sohn in unserer Nähe beerdigt wird – in einer Gegend, in der ich auch weiterhin leben möchte. Ich habe zu meinem Partner gesagt: Ich könnte nicht wegziehen. Ich brauche diese Nähe.
Ein weiterer Moment, der mir sehr geholfen hat: Ich habe ihn noch einmal auf die Brust genommen. Ich habe ihn noch einmal ganz fest an mich gedrückt. Das war ein Moment großer Nähe und Liebe.
Ja, und ich habe dann später auch andere Sternen-Eltern kennengelernt. Zum Beispiel eine Freundin – ich habe sie auf dem Friedhof kennengelernt, kurz nach der Beerdigung. Wir waren bei unserem Sohn und haben einen Beerdigungszug gesehen, der auch zu der Kinderwiese geht. Unsere Hebamme hat uns später einander vorgestellt. Unsere Kinder liegen jetzt auf demselben Friedhof, und wir haben heute noch Kontakt. Diese Verbindung ist geblieben.
Ich habe mich aber nie klassischen Trauergruppen angeschlossen. Ich wollte, dass meine Trauer sichtbar ist – in meinem Freund*innenkreis, in meinem Alltag. Am Anfang gab es auch viel Anteilnahme. Aber irgendwann geht das Leben bei den anderen weiter.
Ich habe trotzdem Möglichkeiten gefunden – zum Beispiel spezielle Rückbildungskurse ohne Babys. Da waren Frauen, die Ähnliches erlebt hatten. Es gab nicht immer langfristige Kontakte, aber es war gut, in solchen Räumen zu sein.
Wenn ich andere Personen treffe, die ein Sternenkind habe, öffne ich mich schnell, weil ich spüre: Die andere versteht das. Das verbindet.
Eine ältere Sternenmama hat mir erzählt, dass sie sich nicht vorstellt, was ihr Kind heute machen würde – ob es jetzt in die Schule käme oder so. Sie sagte: Für sie zählt nur die Zeit, die ihr Kind tatsächlich hier war. Alles andere sei ein Festhalten an einer Vorstellung, die es nie gab. Das hat mich sehr befreit.
Weil ich dachte immer: Sollte ich mir das vorstellen? Wäre mein Kind jetzt drei? Aber nein – ich habe nicht nur ein Kind verloren. Ich habe auch die Vorstellung eines Lebens verloren, das ich mir gewünscht hatte. Und das ist manchmal leer. Ich wollte ein anderes Leben führen. Aber ich lerne, diesem neuen Leben mit Größe zu begegnen.
Menschen ohne diese Erfahrung trauen sich oft überhaupt nicht, etwas zu sagen. Es gibt dann diese gut gemeinten Angebote wie: „Meld dich, wenn du reden willst.“ Aber in den ersten anderthalb Jahren nach dem Verlust hatte ich gar keine Kraft, mir zu überlegen, wen ich ansprechen könnte. Wer das halten kann. Wer da wäre.
Ich musste ja selbst irgendwie überleben – zwischen Trauer, Partnerschaft, Arbeit und meinem Bonuskind. Und ich habe vor kurzem erst jemanden angeschrieben und gesagt: „Das ist total nett gemeint – ich weiß das auch zu schätzen – aber so funktioniert Trauer für mich nicht.“ Sie kommt oft so plötzlich. Ich kann das nicht planen, nicht einordnen. Und dann rufe ich niemanden an. Da war es schön, diesen Zwischenraum mal zu benennen. Zu sagen: Ich brauche mehr als nur gut gemeinte Offenheit. Ich brauche aktive Verbindung.
Viele Menschen wissen nicht, dass Trauer so lange dauern kann. Dass sie nicht weniger wird. Dass sie sich nicht auflöst. Mein Kind ist jeden Tag bei mir. Es wird nicht weniger. Ich denke nicht weniger an ihn. Ich liebe ihn nicht weniger. Und ich glaube, das ist etwas, das sich viele nicht vorstellen können – gerade, weil das Kind ja physisch nicht da ist. Es gibt keine sichtbare Veränderung. Aber in mir ist alles verändert.
Ich habe mich oft gefragt, ob das alles ein Tabu ist. Ob man als Sternenmama in einer tabubehafteten Rolle lebt. Ich bin mir nicht sicher. Ist es ein Tabu, wenn Menschen nicht wissen, wie sie sprechen sollen? Oder ist es eher eine Schwierigkeit? Ich glaube, der Tod generell ist ein Thema, über das wir nicht gut sprechen können. Vielleicht liegt es daran. Ich weiß es nicht genau.
Wunschmama
Ich habe diese Rolle lange als eine sehr schmerzhafte empfunden. Es fühlt sich so an, als wäre ich nur Bonus- oder Stiefmutter – aber eben nicht „wirklich“ Mutter, weil ich kein eigenes Kind habe. Und das ist schwer auszuhalten. Ich habe oft das Gefühl, dass ich dabei irgendwie „nicht gut wegkomme“.
Gleichzeitig verändert sich da gerade etwas. Es gibt einen inneren Prozess – ein vorsichtiges Herantasten. Dinge brauchen Zeit. Auch alles, was wir bisher hier besprochen haben, braucht seine eigene Zeit. Eine Zeit, die sich nicht an den Takt unseres Alltags hält. Ich merke, ich muss – oder besser: ich darf – mich dem stellen. Denn es ist eine schwierige Rolle.
Es geht viel um Kontrolle. Oder besser gesagt: um den Verlust von Kontrolle. Ich kann nicht „machen“, dass ich ein Kind bekomme. Und das geht für mich sehr tief – bis in die Grundsubstanz meines Selbstvertrauens: Traue ich mir eigentlich zu, etwas ins Leben zu bringen?
Und das ist so trügerisch – weil wir in einer Welt leben, in der wir alles in der Hand haben wollen. Gerade im linken Spektrum, in dem ich mich bewege, gehört es fast zum Selbstverständnis, dass wir die Dinge aktiv gestalten – sei es im Aktivismus, in der Arbeit, in der Gesellschaft. Und dann kommt dieses eine Thema – Kinderkriegen – das sich dieser Logik vollkommen entzieht.
Ich dachte damals: Ich lasse die Verhütungskette entfernen, dann passiert es einfach. Aber so war es nicht. Und das hatte auch wieder mit Unsichtbarkeit zu tun. Es wird wenig darüber gesprochen, dass es bei vielen nicht klappt. Gefühlt funktioniert es bei allen anderen sofort.
Ich habe kürzlich gelesen: Noch nie waren wir so sehr von Sex umgeben – und hatten gleichzeitig so wenig. Und ich musste sofort nicken. Sexualität ist heute auch ein Leistungsraum geworden. Du bist „erfolgreich“, wenn du einen Orgasmus hast, wenn du Kinder bekommst, wenn du Spaß dabei hast.
Und es ist nichts, worüber man gern beim Abendessen spricht. Schon allein zu sagen „Ich habe einen Kinderwunsch“ ist die erste Hürde.
Ich bin 37 – und obwohl die Medizin sagt, das ist kein ungewöhnliches Alter, wird mir im Umfeld oft gesagt: Warum gehst du nicht in die Klinik?
Ich merke: Es braucht Mut, zu sagen: Ich will nichts machen lassen. Ich will diese Entscheidung vielleicht dem Leben überlassen. Und in unserer säkularen, anti-religiösen Welt ist das schwer zu kommunizieren – selbst für mich, innerlich. Es ist so schwer, weil es keine klare Verortung dafür gibt.
Denn wenn ich sagen kann: Ich will ein Kind – warum überlasse ich es dann nicht einfach mir und meiner Kontrolle? Es klingt für viele paradox. Und doch habe ich das Gefühl, dass genau darin ein Mut liegt – zu sagen: Vielleicht überlasse ich es der Zeit. Vielleicht ist das auch eine Form von Widerstand.
Wir hatten ja schon mal über Kapitalismus gesprochen – und über die Verbindung von Mutterschaft, Altern und Systemlogik. Und ich habe gemerkt: Viel von meinem Kinderwunsch hing auch mit dem Gefühl eines Verlustes zusammen. Ich wollte diese Leere füllen.
In einer kapitalistisch geprägten Welt ist das Füllen von Leere fast schon ein Automatismus. Leere Räume müssen „genutzt“ werden – sonst gelten sie als unproduktiv, als verschwendet. Und ich habe gemerkt: Selbst meine Trauer oder das „Nichts“ sollen verwertet werden.
Ich habe sogar kurz darüber nachgedacht, ob ich jetzt promovieren sollte. Einfach, um etwas daraus zu machen.
Für mich besteht ein Unterschied zwischen Leer- und Freiraum. Der Leerraum ist von Trauer besetzt. Der Freiraum hingegen ist etwas anderes – darin liegt auch Dankbarkeit. Nicht, dass ich kein Kind habe – sondern dafür, dass ich jetzt Dinge tun kann, die ich sonst nicht hätte tun können.
Da spüre ich: Ich kann mich in diesem Raum bewegen. Und da ist dann plötzlich auch keine Trauer. Sondern eine neue Realität.
Und vielleicht liegt auch darin eine neue Art von Widerstand: Kontrolle abzugeben – und trotzdem widerständig zu bleiben.
Ich frage mich oft: Was sind überhaupt gute Widerstandsformen in unserer Zeit? Wir kennen alle die sichtbaren – Demos, Organisierung, Aktivismus. Aber das sind alles aktive Formen.
Was, wenn Widerstand auch darin besteht, nicht zu handeln? Wenn ich sage: Ich vertraue auf Zeit. Auf das Leben. Auf Veränderung ohne Kontrolle. Das ist schwer, denn es bedeutet auch, die Hoffnung auf „Machen können“ loszulassen. Und trotzdem nicht in Apathie zu verfallen.
Ich weiß, es gibt Bewegungen, z. B. die „Rest is Resistance“-Bewegung aus der Black Community in den USA. Daran muss ich denken. Und ich frage mich: Wie können wir mehr Nichtstun in unseren Aktivismus bringen?
Nicht als Pause, um danach wieder „fit fürs System“ zu sein – sondern als bewusste Form von Verweigerung. Als politische Haltung. Das ist für mich eine Suchbewegung. Und vielleicht braucht es mehr Raum dafür – auch im Feminismus.
Klara Simon führt seit Januar 2024 Mein Grundeinkommen als Vorstandsvorsitzende.
Die 37-Jährige ist in Mecklenburg aufgewachsen. Heute lebt und arbeitet Klara mit ihrem Mann, ihrem Bonus-Sohn und ihrem Sternenkind in Berlin. Nach dem Studium der Politik, Literatur und Philosophie in Bremen, Halmstad und Frankfurt (Oder) hat sie ihren Platz an der Schnittstelle von Forschung, Kunst und kollektiver Organisation gefunden. Als Mitbetreiberin des Berliner Kulturortes „Mensch Meier“ prägte sie über viele Jahre Strukturen, Prozesse und künstlerische Formate – zwischen Zahlenkolonnen und der Idee, wie Arbeit und Leben gerechter gestaltet werden können.