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Artikel, Essay

Selbstvertretung /
Self-Advocacy

Die Bedeutung von Selbstvertretung für rassismusbetroffene Schwangere und Gebärende: Von Impulsen und Gedanken zu Empowerment, Sichtbarkeit, Emotionen, Bedürfnissen und Grenzsetzungen. Dieser Beitrag teilt komprimierte Auszüge aus einer Abschlussarbeit.
Jennifer Tamara Akouvi Lotsi

In meinem Leben wurde ich schon öfter mit Anti-Schwarzen Rassismus im medizinischen Kontext konfrontiert. Doch als ich schwanger war, wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie sehr diese Erfahrung die Schwangerschaftsvorsorge und Geburtshilfe prägen kann und wie das Gefühl der Machtlosigkeit, das Rassismus erzeugen kann, insbesondere in der Schwangerschaft und während der Geburt, Ängste und Unsicherheiten verstärkt. Ich habe versucht, mich nicht als Opfer von Rassismus zu fühlen, sondern mich und weitere Menschen zu stärken, die Stimme zu erheben und Ungerechtigkeiten zu benennen. Das Erheben meiner Stimme, nicht nur im Kontext von Rassismus und Diskriminierung, sondern allgemein, das Ausdrücken dessen, was ich will, wer ich bin, was ich nicht akzeptiere und wie ich mir Dinge vorstelle, war immer schon ein Teil meines Lebens. Auch wenn mir der Begriff „Selbstvertretung“ lange nicht bewusst war, habe ich sie dennoch oft praktiziert. Natürlich wurde das nicht immer gut aufgenommen; oft eckte ich an, und es kam auch vor, dass ich dafür sanktioniert wurde, sei es durch Ausgrenzung, die Kündigung eines Jobs oder das Beenden von Beziehungen. Die Gefühle, die mich begleiteten, waren ambivalent: Manchmal überkam mich Reue und Angst vor Zurückweisung, doch gleichzeitig erlebte ich Empowerment und empfand auch Stolz und die Sicherheit, dass ich meine Wahrheit ausgesprochen hatte und meinem Weg folgte. Wenn ich andere Menschen beobachtete, die für sich eintraten, hat mich das, je nachdem, inwiefern ich involviert war, einerseits eingeschüchtert oder gereizt, doch andererseits war ich auch beeindruckt und bewunderte ihren Mut und ihren Selbstrespekt. Selbstvertretung kann als zentraler Bestandteil des Empowerments  gesehen werden und kann im Kontext von Schwangerschaft und Geburt unter anderem den Prozess beschreiben, in dem Personen für sich selbst sprechen, Grenzen setzen und selbstbestimmt Entscheidungen treffen und äußern, die ihre eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Rechte betreffen. Es kann ein klares Ja sein, aber auch ein deutliches Nein.

Schwangerschaft und Geburt haben für verschiedene Menschen unterschiedliche Bedeutungen. Was diese Ereignisse und Umstände für eine Person bedeuten, hängt von ihrer Lebenssituation, ihren Identitätsmerkmalen, ihrer sozialen Herkunft sowie den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Durch die Manifestationen und Auswirkungen von Rassismus sind Schwarze und nicht-Schwarze Schwangere und Gebärende of Color mit besonderen Herausforderungen konfrontiert, die unter anderem auch ihre Möglichkeiten zur aktiven Mitbestimmung und Selbstvertretung während der Schwangerschaftsvorsorge und Geburtshilfe einschränken können. Sie befinden sich in einer besonders vulnerablen Position, da ihre Bedürfnisse und Erfahrungen einerseits häufig unsichtbar gemacht oder nicht ernst genommen werden, andererseits sie, durch die Rassifizierung, besonders sichtbar und von rassistischen Zuschreibungen und Stereotypisierungen und vermehrten Grenzüberschreitungen und Gewalt betroffen sind.

Routinen in der üblichen Schwangerschaftsvorsorge und klinischen Geburtshilfe sind so festgefahren, dass sie oftmals nicht mehr hinterfragt werden. Sei es vom Gesundheitspersonal und manchmal auch von Schwangeren und Gebärenden selbst. Dadurch erhöht sich zusätzlich das Risiko, dass die eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu kurz kommen oder nicht beachtet werden. Die eigene gesellschaftliche Positionierung hat maßgeblichen Einfluss daraus, welchen Bedürfnissen in diesem Kontext mehr Bedeutung und Priorität beigemessen wird.

Während der Schwangerschaft und des existenziellen sowie verletzlichen Moments der Geburt Rassismus ausgesetzt zu sein, kann betroffene Personen entmutigen für sich selbst einzustehen und diese Umstände sicher und zufrieden zu erleben, sowie auch nachhaltige traumatische Auswirkungen zeigen. Deshalb ist es vorallem für rassismusbetroffene Menschen, aber auch Menschen die von (zusätzlich) anderen Diskriminierungen betroffen sind, so wichtig sich selbst zu vertreten.

Für sich selbst einstehen. Aus einer Ohnmachtssituation heraus in die Handlungsfähigkeit zu gehen. Sichtbar sein. Manchmal Widerstand. Resilienz. Self Care.

Selbstvertretung, vor dem Hintergrund der Prävention von rassistischer Gewalt und Diskriminierung macht sichtbar, wer jemand ist, was diese Person braucht, welche Bedürfnisse vielleicht übergangen worden sind und mitunter auch welche strukturellen Probleme bestehen. Sie kann Reflexion auf beiden Seiten hervorrufen und stärkt letztlich die Person, die sie praktiziert. Selbstvertretung ist wie ein Muskel, welcher durch Übung stärker wird. Selbstvertretung dient hiermit auch als ein Tool, um die Bedürfnisse, Grenzen und Erfahrungen von Ungleichbehandlung von Schwangeren und Gebärenden mehr Aufmerksamkeit und Beachtung zu verschaffen und dazu beizutragen, dass Diskriminierung benannt und adressiert wird. Selbstvertretung ist für rassismusbetroffene Menschen kein Angebot, sondern eine Überlebensstrategie und ein Anstoß für Veränderung.

Wichtig für mich an dieser Stelle nochmal zu verdeutlichen: Selbst rassifiziertes Gesundsheitspersonal muss nicht gleich rassismussensibel bedeuten. Beispielsweise geht Anti-Schwarzer Rassismus nicht ausschließlich von weißen Personen aus. Und das kann auch auf andere Rassismusformen bezogen werden. Das liegt daran, dass Rassismus ein komplexes System ist, das von der Gesellschaft durch Sozialisierung erlernt und internalisiert wird und dabei eine unlogische soziale Hierarchie etabliert, die bestimmt, wem welcher Wert und Respekt zugesprochen wird. Diese internalisierten Vorurteile und Denkmuster können dazu führen, dass auch rassifizierte Personen rassistisches Verhalten und Diskriminierung reproduzieren und ausüben.

Die Fragen, welche ich mir während meiner Schwangerschaft stellte, waren:
Wie können Schwarze schwangere und gebärende Personen of Color aus einem Ohnmachtsgefühl im Erleben von Rassismus herausfinden? Welche Strategien und Lösungen gibt es, die uns helfen, Selbstvertretung zu üben und uns selbst zu ermächtigen?

Im Folgenden gehe ich auf ein paar Gedanken und Ideen ein, die meiner Meinung nach die Selbstvertretungskompetenz beeinflussen. Dieser Beitrag gilt als Reflexionsraum, wie Selbstvertretung gestärkt oder gelingen kann. Die Wirksamkeit und Effektivität kann für jede Person unterschiedlich sein. Darüber hinaus können folgende Strategien angepasst auch teilweise für Menschen funktionieren, die nicht negativ von Rassismus betroffen sind. Oft werde ich auch die „Wir“-Perspektive verwenden, wenn es der Kontext zulässt, um die Verbindung zur eigenen Erfahrung und Perspektive herzustellen.

🌟 Kritisches Rassismusbewusstsein

Grundsätzlich gilt, wenn wir Empowerment erleben, wenn wir uns unseres Wertes zunehmend bewusster werden, unsere Handlungskompetenz wahrnehmen und reflektieren, beeinflusst das die Art und Weise, wie und ob wir uns selbst vertreten. Wenn wir uns gestärkt fühlen in unserer Identität, unserem rassifizierten Dasein, uns selbst validieren und Legitimität geben und uns, so oft es uns möglich ist, mit Menschen umgeben, die das auch tun, können wir uns auch in unserer Handlungsfähigkeit gestärkt fühlen. Das kann zum Beispiel durch ein erstes kritisches Rassismusbewusstsein erfolgen; das umfasst eine Politisierung in Bezug auf die eigene Positionierung in der Gesellschaft und eine Reflexion ungleicher Machtverhältnisse. Ein Verständnis darüber, dass Ungleichbehandlung oftmals nicht mit der eigenen individuellen Persönlichkeit zu tun hat, sondern, wie die Gesellschaft strukturiert ist. Darüber hinaus umfasst es auch ein Bewusstwerden und eine Distanzierung von möglichen internalisierten Zuschreibungen und Fremdbezeichnungen. Es kann zudem hilfreich sein, die eigenen Diskriminierungserfahrungen zu reflektieren, mit anderen rassismuserfahrenen- oder sensiblen Menschen zu teilen und diese aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Das kann bestenfalls in geschlossenen Räumen mit Menschen zusammen passieren, die ähnliche oder gleiche Identitätsmerkmale teilen. Dadurch wird es unter anderem möglich, die Erlebnisse besser zu verstehen und gemeinsame Muster zu erkennen und gleichzeitig kann durch solidarisches Miteinander und das Teilen der Erfahrungen die Motivation zur Selbstvertretung gefördert werden. Darüber hinaus kann Empowerment und kritisches Rassismusbewusstsein auch entstehen, indem sich Wissen angeeignet wird, dass strukturell invalidiert oder als nicht bedeutend anerkannt wurde, Wissen über Geschichten, die nicht erzählt werden. Sich mit der Geschichte, Errungenschaften, Kultur, Widerständen, Kämpfen von Schwarzen und/oder anderen rassismusbetroffenen Communities auseinanderzusetzen, auch in Bezug zu reproduktiver Gerechtigkeit, kann dazu beitragen, soziale Strukturen besser zu verstehen und gleichzeitig die Resilienz im Umgang mit Rassismus, sowie das Potenzial für Widerstand in Form von Selbstvertretung zu stärken. Die Auseinandersetzung mit und das Verstehen von gesellschaftlichen rassistischen Gegebenheiten und die Erfahrung von Community und kollektivem Wir-Wissen, kann zudem auch Stolz auf die eigenen Identitätsmerkmale anstoßen. Stolz zu empfinden kann ein positiveres Selbstbild entstehen lassen und dazu führen, dass Ungleichbehandlung und rassistische Erfahrungen nicht mehr gerechtfertigt oder bagatellisiert werden, vielmehr unterstützt Stolz Betroffene für sich einzutreten und Ungerechtigkeiten und schlechte Behandlung nicht mehr zu tolerieren und erleichtert den Widerstand gegen Diskriminierung.
Gleichzeitig kann die Auseinandersetzung mit diesen Themen aber auch ernüchternd und von Schmerz begleitet sein.

 

🌟 Ressourcenbewusstsein

 Es kann bedeutend sein, über Ressourcen, welche schon bestehen um Selbstvertretung gut umzusetzen, nachzudenken. Das kann z. B. Kommunikationskompetenz sein, Wissen zu Schwangerschaft und Geburt, eine reflektierte Emotionsregulierung, Selbstbewusstsein im Sinne von Gewahr-sein der eigenen Gefühle und der Wirkung des eigenen Auftretens, sowie Selbstsicherheit. Sowie auch soziale Ressourcen, wie ein unterstützender Freund:innenkreis oder Familie. Darunter fallen auch finanzielle Ressourcen, um sich beispielsweise eher eine außerklinische Geburt oder Geburtsbegleitung leisten zu können, die eine selbstbestimmtere und diskriminierungssensiblere Geburt durchaus beeinflussen können. Oder andere Fähigkeiten und Interessen, u.v.m.  Der Fokus darf auf das was vorhanden ist, auf unterstützende Ressourcen, gerückt werden. Dieses Ressourcenbewusstsein kann die Betrachtung verschiedener vorhandener Fähigkeiten und deren Einfluss auf Empowerment und Selbstvertretung verändern.  Die Schwangeren und Gebärenden dürfen sich in dieser Reflexion „ihres eigenen Potentials bewusst werden, dessen sie sich in ihrer alltäglichen und politischen Praxis bedienen können“ (Can in Castro Varela & Dhawan, 2011:246) und diese „Selbst-Bewusst-Werdung“ führt dazu, dass „synergetische Kräfte mobilisiert und gebündelt werden“, was es ihnen ermöglicht, sich aus einem Zustand der „Ohnmacht und des Ausgeliefertseins gegenüber rassistischer Diskriminierung“ zu befreien (ebd.). Empowerment bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Schwangere und Gebärende sich ihrer Ressourcen bewusst sind und diese gezielt einsetzen, um ihre Selbstvertretung zu stärken.

 

🌟 Reflexion über Umgangsstrategien

Als weitere Strategie gilt die Auseinandersetzung mit bereits umgesetzten Strategien im Umgang mit Rassismus, sei es passiv oder aktiv. Passiv z.B. im Sinne von rassistische Übergriffe rechtzufertigen, Schuld bei sich zu suchen, ignorieren, sowie (physischen oder emotionalen) Abstand zu suchen, einen Raum zu verlassen, (je nach Phase und Umstand mehr oder weniger möglich) um sich auf sich selbst konzentrieren und der Rassismus ausübenden Person keine Energie zuzuwenden. Aber auch zu akzeptieren, dass das Gegenüber vielleicht nicht die nötige kognitive oder emotionale Fähigkeit hat zu verstehen, ist eine passive Umgangsstrategie. Sowie Konfrontation oder Konflikt zu vermeiden, was durchaus aus einem natürlichen Selbstschutzmechanismus heraus entstehen kann. Wobei hier aber auch dieser Reflexionsraum dazu dienen kann, herauszufinden, ob und wie diese persönlichen Mechanismen von Konfrontationsvermeidung schwangere und gebärende Personen davon abhalten, sich selbst zu vertreten. Manche dieser passiven Strategien können deeskalierend wirken, andere auch krank machen.
Als aktive Strategien zählen unter anderem: Das Ansprechen und Adressieren von Rassismus und Diskriminierung, wütend zu werden und anprangern, Menschen um Unterstützung fragen, Beschwerden einreichen, Erfahrungen, Beobachtungen, Beweismittel veröffentlichen, etc. Aktive Strategien können in bestimmten Situationen eskalierend wirken und ein Risiko darstellen, sie können aber auch positive Entwicklungen in Gang bringen. Darüber hinaus gibt es auch weitere Strategien, die aktiv und bestimmt, aber weich sind, wie z. B. den Mut zur Verletzlichkeit und das komplette Aufmachen, sich zeigen, ganz im Sinne des Konzeptes „radical softness“, das auch als Akt des Widerstands und Empowerment verstanden werden kann. Denn sich in unserer Gesellschaft verletzlich und emotional zu zeigen, vor allem in institutionellen Kontexten, ist schon fast ein Rebellionsakt. Es kann frei machen. Es kann uns empowern. Es kann Veränderung anstoßen. Es ist aber auch personen-, situations-, und intuitionsabhängig. Ob es sich letztendlich gut anfühlt, hängt auch damit zusammen, ob das Gegenüber einsichtig, sensibel und offen ist. Denn es kann auch Angriffsfläche bieten. Grundsätzlich bringt das Ansprechen von Rassismus eine gewisse Verletzbarkeit mit sich und kostet Mut und Kraft. Es kann angenommen werden, dass offenkundige Vulnerabilität in diesem Kontext als Zeichen von Schwäche gewertet werden kann, und es mag Menschen geben, die es so sehen.  Und manchmal, wenn wir uns tief, ehrlich und emotional zeigen, kann der Mut zur offenkundigen Verletzlichkeit bei anderen Personen auch bestimmte Reaktionen auslösen. Vorallem im Kontext von Rassismus, kann es eine Täter:innen-Opfer-Umkehr geben, wir können auf weiße Fragilität oder Defensiveness treffen und betroffene, verletzte Personen laufen Gefahr nicht gesehen zu werden oder dass ihre Verletzung nicht beachtet wird und demnach die Verletzung noch größer wird. Oder es entmutigt sie und erzeugt Angst oder Unsicherheit sich weiterhin selbst zu vertreten. Doch Angst und Verletzlichkeit schließen Handlungsfähigkeit nicht aus, im Gegenteil, sie können sie sogar fördern (vgl. Hintjes, 2024:204; Mannik in ebd.). Im idealen Fall, kann eine echte und einfühlsame Begegnung entstehen, in der sich Menschen gegenseitig sehen und verstehen und ein Reflexionsprozess angestoßen werden kann. Dabei darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass Menschen, die Rassismus und Diskriminierung erfahren, unterschiedlich auf verletzende Situationen reagieren. Manche haben einfach keine Energie oder Motivation, der Person, die Rassismus ausübt oder diskriminiert, einen Reflexionsraum zu bieten und Bildungsarbeit zu leisten, weil sie sich zuerst mit ihren eigenen Gefühlen auseinandersetzen müssen oder sich bewusst entscheiden, in dieser Situation ihren eigenen Bedürfnissen und Emotionen Priorität zu geben. Vorallem im Kontext von Schwangerschaft und Geburt hat das besondere Bedeutung. Wir müssen niemandem einen Gefallen tun. Aber die Frage bleibt: Tun wir uns vielleicht einen damit? Wenn wir uns verletzlich zeigen, wenn wir radikale Weichheit wagen?

Letztendlich geht es aber auch darum ein Bewusstsein darüber zu schaffen, in welchen Situationen unbewussten Mechanismen gefolgt wird und zu reflektieren, wie diese die eigene Selbstvertretung und die Umsetzung unserer Wünsche oder Grenzsetzungen beeinflussen. Selbstreflexion, also: Was bin ich grundsätzlich für ein Mensch? Wie lautet meine Konfliktsprache? Gehe ich Konflikten oder Konfrontationen aus dem Weg, bin ich vermeidend? oder adressiere ich es head on und bin konfrontativ? In welchen Momenten fühle ich mich bestärkt für mich einzutreten, in welchen nicht?

Die Studie des Afrozensus verdeutlicht aber auch, dass der Umgang mit Diskriminierung maßgeblich davon beeinflusst wird, ob sie im privaten oder institutionellen Umfeld stattfindet und auch, ob die diskriminierende Person eine höhere soziale Hierarchiestellung hat oder nicht (vgl. Afrozensus, 2020:234). Das sind entscheidende Faktoren und Erkenntnisse, dass die Art und Weise wie mit rassistischer Diskriminierung umgegangen wird, immer situativ und kontextgegeben ist und daher differenziert betrachtet werden muss.

Diese genannten Strategien stellen nur einen Ausschnitt von vielfältigen Bewältigungsansätzen dar. Viele dieser Ansätze kommen oft erst im gemeinsamen Austausch zur Sprache und erweitern so das Spektrum an Handlungsmöglichkeiten für Selbstvertretung.

🌟 Know your rights

Für die Selbstvertretung während der Schwangerschaft und Geburt ist es für die Schwangeren und Gebärenden außerdem entscheidend, ihre Rechte zu kennen. Nur wenn sie wissen, über welche Aspekte sie Entscheidungen treffen können, sind sie in der Lage, informierte Entscheidungen zu treffen, ihre Rechte geltend zu machen und sich selbst zu vertreten. Das sind viele unterschiedliche Rechte wie z. B. das Recht auf eine interventionsarme Geburt, und damit meine ich nicht, wenn es necessary ist, sondern, dass wenn Krankenhäuser routiniert arbeiten und einfach aus Prinzip von Anfang an z. B.  einen intravenösen Zugang legen, dass gebärende Personen ein Entscheidungsrecht haben, das abzulehnen. Diese und andere Routinen werden selten hinterfragt, obwohl Schwangere und Gebärende das Recht haben, solche Maßnahmen abzulehnen. Es kann dann seitens des Gesundheitspersonals Druck ausgeübt werden. Anstatt auf das Recht der Ablehnung hinzuweisen, wird dann eher für die Notwendigkeit argumentiert, was es den „Patient:innen“ schwerer macht, selbstbestimmt zu entscheiden. Besonders in dem vulnerablen Umstand einer Geburt oder Schwangerschaft, wenn keine Information über das eigene Entscheidungsrecht besteht, wird dieses Recht leicht übergangen. Aus eigener Erfahrung kann ich teilen, dass mit Nachdruck und Angstmacherei darauf hingearbeitet wurde, bestimmte Routinen bei mir umzusetzen, obwohl ich mehrfach betont hatte, dass ich bestimmte Interventionen nicht haben möchte. Das Bestehen auf routinierte Vorgänge macht es nicht leichter sich selbst zu vertreten. Auch weitere Rechte gelten, wie das Recht alle Optionen vor einer Intervention oder Entscheidung erläutert zu bekommen. Oder das Recht zu einer anonymen und vertraulichen Geburt, wenn Gebärende ihre Identität aus bestimmten Gründen nicht preisgeben möchten. Das Recht selbstbestimmt zu entscheiden, welche Vitamine sie ihren Kindern nach der Geburt verabreichen lassen und ob sie Wehenbeschleuniger oder bestimmte Schmerzmittel verabreicht bekommen möchten oder nicht. Und viele weitere Rechte. Es lässt sich nur mutmaßen, bei welchen Personengruppen diese Rechte eher ignoriert werden oder das Gesundheitspersonal weniger Initiative zeigt auf die Entscheidungsfreiheit hinzuweisen. Besonders wenn Sprachbarrieren existieren, sind Schwangere und Gebärende besonders gefährdet, kompletter Fremdbestimmung ausgesetzt zu sein. Umso wichtiger ist es, dass hier eine Veränderung im Hinblick auf selbstverständliche Sprachmittlung bei Barrieren stattfindet, damit rassismusbetroffene Schwarze Schwangere und Gebärende of Color durch das Kennen der eigenen Rechte mehr Selbstsicherheit entwickeln und in der Lage sind, ihre Bedürfnisse und Rechte einzufordern. Die Wissensvermittlung ist hier so entscheidend, um dann in der jeweiligen Situation eine informierte Entscheidung und effektive Selbstvertretung zu ermöglichen.

🌟 Selbstfürsorge und Emotionale Achtsamkeit

Auch bedeutsam für Selbstvertretung ist emotionale Achtsamkeit und die damit verbundene reflektierte und bewusste Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen. Auch ein Bewusstsein über die eigenen Bedürfnisse ist essentiell, sowie auch über ein, falls vorhanden, geringes Selbstwertgefühl. Das kann nämlich ein Bedürfnis nach Überangepasstheit oder auch co-abhängige Tendenzen (im Sinne von Verdrängung eigener Gefühle, Selbstverleugnung oder emotionale Verantwortungsübernahme) fördern. Im Grunde genommen sind es Eigenschaften an uns selbst, die schlechtes Verhalten seitens des Gesundheitspersonals uns gegenüber in Ordnung heißen, rechtfertigen oder entschuldigen. Das kann eine hohe Reflexionsfähigkeit erfordern. Selbstvertretung erfordert also ein Bewusstsein darüber, wann die eigenen Grenzen überschritten werden und auch ein Bewusstsein darüber was die eigenen Bedürfnisse sind.

Mit dem Akt der Selbstvertretung, neben dem Erlebnis von Empowerment, Kraft und Befreiung, können auch viele weitere Emotionen einhergehen, die verunsichern oder sich unangenehm anfühlen, wie zum Beispiel Scham, Schuld oder Reue. Weil wir sichtbar wurden. Aber auch, weil eine Grenzzsetzung mitunter defensive oder wütende Reaktionen auf der anderen Seite verursachen kann. Und möglicherweise auch dann, wenn selbst hinterfragt wird, ob die Selbstvertretung die richtige Entscheidung war.  Sich das immer wieder zu vergegenwärtigen, dass verunsichernde Gefühle nach dem Akt der Selbstvertretung einhergehen können und dass das nicht unüblich ist, kann in Momenten unterstützen, mit bestimmten Emotionen besser umzugehen. Der Austausch mit einfühlsamen Menschen nach so einem Moment, kann zudem Kraft und Rückversicherung schenken.

Achtsamkeit für sich selbst ist auch mit Selbstfürsorge verbunden. Selbstfürsorge kann vieles sein, solange es uns selbst gut tut. Selbstfürsorge kann daher auch bedeuten, nicht in eine kräftezehrende Konfrontation zu gehen, sondern sich bewusst zu fragen: „Lohnt es sich, mit dieser Person in eine Diskussion zu treten? Tut mir das gut? Gibt es Aussicht auf Besserung? Das kann je nach der Intensität und des Ausmaß einer Situation unterschiedlich beurteilt werden. Eine klare, realistische, aber auch intuitive Einschätzung kann hier helfen. Wobei auch hier zwischen Intuition oder Unsicherheit und Angst differenziert werden darf. Selbstfürsorge bedeutet also auch, achtsam mit dem eigenen Energiehaushalt umzugehen und sich zu erlauben, Rassismus nicht in jeder Situation ansprechen zu müssen. Aber auch andere Arten der Fürsorge für uns selbst, gelten. Besonders während der Schwangerschaft, wenn es die Lebensumstände erlauben, sich immer wieder Momente der Auszeit zu gönnen. Eine gezielte Vorbereitung auf die Geburt kann auch eine Form der Selbstfürsorge sein. Denn auch der körperliche, sowie der psychische und emotionale Zustand beeinflussen die Art und Weise, wie und ob wir uns selbstvertreten. Durch Selbstfürsorge vermitteln wir uns selbst, dass wir es wert sind, respektiert und geachtet zu werden. Sie funktioniert wie das Gießen einer Blume, die durch Fürsorge und Aufmerksamkeit aufblüht und ihre volle Energie entfaltet. Das fördert unsere Selbstachtung und auch den Selbstrespekt, was dazu führen kann, dass nicht länger akzeptiert wird, minderwertig behandelt zu werden. Schlechter Umgang wird zunehmend bewusster wahrgenommen, was die Fähigkeit zur Selbstvertretung stärkt.

Selbstfürsorge, Ruhe und Erholung können eine Form des Widerstands sein. Wenn sich bewusst dafür entschieden wird, die Aufmerksamkeit auf sich selbst anstatt an äußerer Gegebenheiten und Aggressor:innen zu lenken. Aber auch sich zu erlauben, alle Gefühle zu fühlen, die da sind und diese nicht abzuwerten. Auch diese, die gesellschaftlich eher sanktioniert oder tabuisiert werden, vor allem bei Schwarzen Personen und Personen of Color. Emotionen, die vor allem im Erleben von Diskriminierung absolut gerechtfertigt sind, wie z. B. Wut.

💖 Wut

Wut kann als Katalysator für Grenzen fungieren und Grenzen zu setzen ist Selbstvertretung. Denn, wenn wir Wut verspüren zeigt uns das in den meisten Fällen auf, dass eine Grenze überschritten wurde, dass wir ein Bedürfnis haben, das nicht kommuniziert oder nicht gehört wurde. Und diese Wut kann als Motor dienen unsere Selbstvertretungskräfte zu aktivieren. Besonders aber in institutionellen oder professionellen Kontexten, in denen klare Hierarchien bestehen, kann Wut zu negativen Konsequenzen führen. Dabei kann Wut so nährend und wertvoll sein. Allerdings gibt es Unterschiede, wer wie seine Wut zum Ausdruck bringt oder sich diese erlauben darf.  Vorallem weiblich sozialisierte Menschen lernen im Zuge des Patriarchats oft ihre Wut zurückzuhalten, da sie geshamed werden, bestraft oder gar pathologisiert. Das trifft auch für rassifizierte Menschen zu – unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität – ihre Wut wird seit jeher unterdrückt, sanktioniert, kriminalisiert. Sie erfahren eher als gefährlich bewertet zu werden, erleben silencing, tone policing oder andere Formen von Gewalt. Diese Differenzierung in der Legitimation des Auslebens von Wut findet also nicht nur ausschließlich auf der Geschlechterebene statt, sondern auch entlang der Kategorie race. Und das beginnt oft schon in der Kindheit. Es hat also auch mit Privilegien zu tun, wessen Wut in der Öffentlichkeit, in institutionellen Strukturen, eher toleriert wird.

Dadurch, dass wir hauptsächlich lernen, dass Wut, vorallem im öffentlichen Kontext nicht angebracht ist, lernen wir nicht effektiv und konstruktiv mit dieser kraftvollen Emotion umzugehen. Wut wird oftmals mit Destruktion und Eskalation assoziiert, da es keine allgemeine verbreitete Praxis gibt, die uns lehrt, wie wir Wut auf gesunde Weise kanalisieren, verarbeiten und nutzen können. Aber zielgerichtete Wut ist konstruktiv, nicht destruktiv (vgl. Lorde, 2021:172).

Vor dem Hintergrund des rassistischen Stereotyps der sogenannten „angry Black woman“, das Schwarzen weiblich gelesenen Personen zugeschrieben wird, die für sich einstehen, die ihre Emotionen nicht in Watte verpacken, die sich selbst vertreten, Grenzen aufzeigen, mal laut sind, wird in diesem Beitrag bewusst darauf eingegangen und Wut als Strategie aufgeführt, weil ich mich aus einer Empowerment-Perspektive von solchen Stereotypen distanzieren und erheben will. Unerlässlich wird die Auswirkung dessen, die Festgefahrenheit dieses Phänomens dennoch anerkannt und mögliche Konsequenzen sollen nicht ausgeblendet werden. Ich will mir trotzdem erlauben wütend zu sein. Und ich bin nicht selten wütend. Begleitet von anderen Emotionen und Gefühlen. Die, die danach kommen. Aber auch die, die vielleicht schon darunter lagen. Die, die mich schuldig fühlen lassen, in bestimmten Situationen „die Kontrolle“ verloren zu haben, die, die mich schämen lassen, mich selbst abwerten. Die, die mich vor negativen Konsequenzen fürchten lassen, als auch die, die mich ängstlich machen, nicht akzeptiert oder angenommen zu werden, trotz der Wut. Trotz der Emotion, von der am liebsten alle verschont bleiben wollen. Und mir diese Gefühle zu erlauben kann auch Teil eines Heilungsprozesses sein.

Wut, insbesondere im Kontext von Anti-Schwarzem Rassismus aus der Perspektive der negativBetroffenen, ist ein authentisches und gerechtfertigtes Gefühl. Dieses Stereotyp und der Vorwurf der angry Black woman werden als Legitimation genutzt, um Betroffene zum Schweigen zu bringen. Dieser Versuch soll nicht länger akzeptiert werden. Es darf dennoch nicht außer Acht gelassen werden, dass genau dieses Stereotyp unter Anderem dafür sorgt, dass die Wut von Schwarzen Schwangeren und Gebärenden für sie eher problematisch werden kann vor allem in der Geburtshilfe oder Schwangerschaftsvorsorge in denen institutionelle und ungleiche Machtverhältnisse bestehen.  Dennoch bleibt es von Vorteil, wenn alle (unterdrückten) Gefühle und Erfahrungen Platz finden können, natürlich so, dass Schwangere:r, Fötus, Baby und Gebärende:r nicht beeinträchtigt werden. Wut muss aufjedenfall nicht als etwas gesehen werden, das den gesamten Geburtsprozess dominiert, sondern als eine Emotion, die in bestimmten Momenten  aktiviert wird, um Grenzen zu setzen und sich gegen Ungerechtigkeit zu wehren. Ausgedrückte, nicht nach innengekehrte Wut, macht uns sichtbar.

Wie weit aber Gebärende und Schwangere sich erlauben wütend zu sein, hängt auch mit dem derzeitigen Moment, der Ausgangssituation ab und auch, wie sie sonst mit Wut im Leben umgehen. Für die einen ist es eher schwer ihrer Wut Raum zu geben und für die anderen nicht so einfach diese unter Kontrolle zu halten. Und außerdem hängt es auch davon ab, wie sehr die betroffene Person die Situation als wichtig genug empfindet, um sich in den Momenten der Schwangerschaft oder der Geburt, die idealerweise als beglückend erlebt werden, aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen und nicht mit weiteren intensiven Emotionen konfrontiert werden möchte. Denn Wut auszuleben und zu fühlen kann auch mit einer Erschöpfung danach einhergehen. Wut zu fühlen und auszudrücken bedeutet in manchen Kontexten, sich den eigenen Ängsten stellen zu müssen, wie beispielsweise der Angst vor Zurückweisung oder auch der Sorge, dass die eigenen Bedürfnisse letztendlich nicht erfüllt werden. Gleichzeitig haben viele Menschen internalisiert, dass Wut etwas Schlechtes ist. Und manchmal stehen wir dann da mit all den Gefühlen, die darauf folgen, und wissen vielleicht nicht, wie wir damit umgehen sollen.

Wut kann jedoch auch Momente schaffen, in denen Menschen einander näher kommen, eine Verbindung schaffen und gleichzeitig ihre Beziehung zu sich selbst stärken. Vor allem in der Interaktion mit dem Gesundheitspersonal, dem man nicht persönlich nahesteht. Dort kann Wut auch als Mittel zur Verbindung und zur Herstellung von Kontakt fungieren und die Möglichkeit schaffen Differenzen zu klären (vgl. Lorde, 2021:196). Im besten Fall zieht sie Menschen an, die uns wahrnehmen, unsere Grenzen und Bedürfnisse erkennen und sie respektieren.

Wenn Wut also nicht unterdrückt wird, wenn wir uns ihr gewahr sind und sie konstruktiv halten, begleiten und fühlen; wenn wir sie lenken, anstatt ihr ausgeliefert zu sein und wir explizite Strategien finden mit ihr umzugehen, sie zu kanalisieren oder zu verarbeiten; wenn wir vielleicht sogar lernen sie zu schätzen, dann kann sie als Antrieb genutzt werden und einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, sich selbst zu vertreten.

Das ist ein Übungsprozess. Darüber hinaus kann die Emotion dann weiterziehen und heilsam wirken. In diesem Fall kann die Akzeptanz und das Zulassen des Gefühls auch als Akt der Selbstfürsorge gewertet werden. 

🌟 Kommunikation

Kommunikationsstrategien sind ein essentieller Teil der Selbstvertretung, wobei hier auch deutlich gemacht wird, dass Kommunikation nicht immer nur lautsprachlich erfolgen muss. Selbst ein Erheben der Hand oder ein Kopfschütteln sind klare kommunikative Signale und gelten auch als Form der Selbstvertretung. Genauso wie in schriftlicher Form wie z. B. ein Geburtsplan, der kontinuierlich herangezogen wird und auf dessen Berücksichtigung bestanden wird. Hier kann auch ggf. eine Begleitperson für die gebärende Person fürsprechen.

Kommunikationsstrategien zu entwickeln setzen u.  A. voraus, ein Gespür dafür zu bekommen, in welcher Art und Weise Bedürfnisse gegenüber dem Gesundheitspersonal geäußert werden. Das kann bedeuten, dass die Dynamiken und Atmosphäre einer Situation, sowie andere Faktoren mitbedacht werden, wenn diese kommuniziert werden. In konfrontativen, emotionsgeladenen Situationen in denen Rassismus erlebt wird, kann es für manch betroffene Personen herausfordernd und eine hohe Erwartungshaltung gegenüber sein, überlegt zu bleiben. Aber eine klare und bestimmte, jedoch respektvolle und bedachte Kommunikation kann den Ausgang einer Situation maßgeblich beeinflussen. Aber auch an der Stelle, wenn ich das schreibe, fühle ich zweierlei, weil ich denke auch, warum uns bemühen, bedacht bei Menschen zu sein, die uns nicht bedenken? Die Kommunikation ist auf jeden Fall immer situations- und kontextabhängig. Weil in manchen Situationen braucht es vielleicht einen rauen, lauten Ton, der nicht auf den vermeintlich richtigen Moment wartet. Vor allem, wenn es um Grenzüberschreitungen und Gewalt geht.

Wenn während der Geburt vorher abgesprochene Bedürfnisse auftauchen, aber aufgrund der überwältigenden körperlichen Intensitäten und Wahrnehmungen nicht ausgesprochen werden können, könnte ein im Vorfeld vereinbartes Codewort mit dem geburtshilflichen Personal oder den Begleitpersonen hilfreich sein (Högemann, 2024:146). Darüber hinaus können bereits im Vorfeld Sätze eingeübt oder notiert werden (Harts, 2022:27), die in hektischen Momenten dann bewusst hervorgebracht werden können. Auch ein klares „Stopp! oder „Nein, diesen Eingriff möchte ich nicht als Aussage, können geübt werden in dem sie beispielsweise als Sprachmemo aufgenommen und zur Verinnerlichung mehrmals angehört werden (Högemann, 2024:147; Harts, 2022:27).

Auch die VRANNI-Methode ist eine unterstützende Kommunikationsstrategie um informierte Entscheidungen zu treffen, aber auch um Zeit zu gewinnen.
„V = Welche Vorteile hat der Eingriff?; R = Welche Risiken gibt es?; A = Was sind die Alternativen?; N = Ist das ein Notfall und warum?; N = Was passiert, wenn wir nichts tun?; Intuition = Was sagt mein Bauchgefühl?“

Selbstvertretung kann effektiver sein, wenn sich Personen in Gesprächen mit dem Gesundheitspersonal klar, deutlich und selbstbewusst äußern. Es wird bewusst „selbstbewusst“ gesagt und nicht „selbstsicher“, da es nicht unbedingt um Selbstsicherheit geht. Denn Selbstvertretung kann Mut erfordern und auch mit Unsicherheit einhergehen. Die Art und Weise, wie wir kommunizieren, beeinflusst aber auf jeden Fall, wie wir wahrgenommen werden. Ein klarer Blickkontakt kann zum Beispiel als Selbstsicherheit eingeschätzt werden. Ein bewusstes Framing von Forderung oder Kritik oder auch die Verwendung von Ich-Botschaften kann uns möglicherweise manchmal eher an unsere Bedürfnisbefriedigung bringen und eine diskriminierende Situation entschärfen, da Aggressor:innen sich weniger angegriffen fühlen könnten und dies nicht als Vorwurf verstehen. Das kommt natürlich immer auf die Situation, sowie der körperlichen und psychischen Verfassung der Schwangeren und Gebärenden. Bestimmte Situationen erfordern möglicherweise andere Handlungsmaßnahmen.

Selbstvertretend zu kommunizieren bedeutet, sich sichtbar zu machen, Raum einzunehmen, präsent zu sein. Das mag manchmal von intensiven Gefühlen begleitet sein. Das Aussprechen und Eintreten für sich selbst kann innere Ambivalenz erzeugen und ein Spannungsverhältnis zwischen dem Gefühl von Selbstermächtigung und Kraft einerseits und intensiven und belastenden Emotionen andererseits entstehen lassen. Selbstvertretung erfordert demnach auch Emotionsregulationsfähigkeit, denn ähnlich wie bei Wut kann sich danach die Situation oder weitere Kommunikation mit dem Gesundheitspersonal schwer oder kräftezehrend anfühlen. Ängste vor Sichtbarkeit, Zurückweisung, Bewertung und Kritik können sehr präsent sein, vor allem, wenn Adressat:innen keine Bestätigung erhalten, keine Unterstützung haben oder ihre Bedürfnisse nicht anerkannt und respektiert werden, nachdem sie sich selbst vertreten haben.

Deswegen darf auch die Kommunikation in der Selbstvertretung immer als Training gesehen werden. Mal gelingt es besser, mal weniger gut, aber mit der Übung wächst die Selbstverständlichkeit, sie auszuüben. Alle Schwangeren und Gebärenden verdienen es, gehört und respektiert zu werden. Bedürfnisse zu äußern, Grenzen zu setzen. Das ist kein „zu viel“ sein. Es ist ein grundlegendes Recht. Und wenn das selbst verinnerlicht wird, fällt es vielleicht leichter, Selbstvertretung umzusetzen.

Darüber hinaus befinden sich Schwangere und Gebärende meist immer auch in einem Abhängigkeitsverhältnis und einem Machtgefälle gegenüber dem geburtshilflichen Personal. Sie sind im Wesentlichen auf dieses Personal angewiesen, und natürlich besteht der Wunsch, kein angespanntes Verhältnis zu schaffen, da dadurch das Vertrauen und das Sicherheitsgefühl beeinträchtigt werden kann. Diese Tatsache stellt einen wichtigen Einflussfaktor dar und ist eng mit Machtverhältnissen verbunden, wenn es darum geht, inwieweit Schwangere und Gebärende bereit sind, Bedürfnisse zu äußern oder verbal Widerstand zu leisten und damit Selbstvertretung auszuüben. Aber das Aussprechen und Eintreten für sich selbst, kann auch eine sehr selbstermächtigende und befreiende Wirkung haben. Denn in jedem Fall wurde der eigene Selbstwert erkannt und das eigene Bedürfnis priorisiert. Das ist ein Ausdruck von Empowerment.

Diskriminierungssensible Doulas, Beleghebammen oder Begleitpersonen können auch als Fürsprecher:innen fungieren. Sie können die Kommunikation zwischen Schwangeren, Gebärenden und medizinischem Personal erleichtern und bei Grenzüberschreitungen oder rassistischen Vorfällen intervenieren. Dabei kann es für die Betroffenen entlastend sein, wenn die Kritik nicht direkt von ihnen selbst kommt, sondern über eine Vermittlungsperson geäußert wird. Begleitendes Gesundheitspersonal, das sich bewusst für die Gebärenden einsetzt, kann nochmal die Dynamik verändern, weil dieses sich in der Institution besser auskennt. In einem System, in dem rassismuskritische Rückmeldungen oft als Angriff wahrgenommen werden, kann diese Art der Advocacy eine Schutzfunktion haben. Gleichzeitig können sie die Schwangeren und Gebärenden darin unterstützen, ihre Bedürfnisse zu formulieren, indem sie sie entweder direkt ermutigen oder eben stellvertretend kommunizieren. Vor allem bei Sprachbarrieren bekommt die Kommunikation einen ganz anderen Stellenwert, weil sie weitreichende Auswirkungen auf die Selbstbestimmung und Entscheidungskraft von Schwangeren und Gebärenden haben kann. Diese Personengruppe ist noch mehr auf spezifische Bewältigungsansätze, Hilfsmittel oder Strategien angewiesen, um deutlich zu machen, was sie wollen und um eine würdevolle und selbstbestimmte Geburt erleben zu können und alle Informationen zu erhalten, die sie benötigen.

 

🌀 Abschließende Gedanken:

Selbstvertretung ist für alle schwangeren und gebärenden Menschen relevant aber besonders für rassismusbetroffene und andere marginalisierte Menschen, die Diskriminierung erfahren, da sie häufiger von Grenzüberschreitungen, ungefragten Routinen, Stereotypisierungen, Bevormundungen und anderen Formen von Gewalt und Fremdbestimmung ausgesetzt sind.

Sie befinden sich gegenüber dem Gesundheitspersonal in einem Macht- und Abhängigkeitsverhältnis auf unterschiedlichen Ebenen und sind darauf angewiesen, dass dieses sie und ihr Baby sicher durch Schwangerschaft und Geburt begleitet. Dementsprechend kann auch eine gewisse Angst oder Vorsicht mitschwingen, wenn es darum geht, Selbstvertretung auszuüben, sei es in Form von rassistisches Verhalten offen zu benennen oder generell Grenzen aufzuzeigen oder Wünsche zu äußern, die nicht den Routinen oder Vorstellungen des Personals entsprechen. Diese Dynamik muss mitgedacht werden.

Selbstvertretung gilt nicht für alle Menschen gleich. Und zwar in dem Sinne, wie sie aufgefasst und akzeptiert wird, aber auch wie inwiefern sie umgesetzt wird. Sie ist kontext- und situationsabhängig. Gleichzeitig hängt vieles auch von der emotionalen und psychischen Kapazität der Schwangeren und Gebärenden ab und ob sie generell darin geübt sind, für sich selbst einzustehen, ob sie konfrontationsbereit sind oder Auseinandersetzungen eher meiden. Im Kontext von Schwangerschaft und Geburt kann das entweder besonders herausfordernd sein oder aber, gerade durch das Bedürfnis, das eigene Baby und sich selbst zu schützen, zusätzliche Selbstvertretungskräfte auslösen.

Es bleibt auch die Frage offen, wie stark und effektiv sich Menschen grundsätzlich während der Geburt selbstvertreten können. Es spielt sehr wahrscheinlich eine Rolle, in welcher Phase der Geburt sie sich befinden, welche körperlichen Intensitäten sie in dem Moment verspüren und wie sehr sie die Selbstvertretung in diesem Augenblick priorisieren.

Die Kraft, sich selbst zu vertreten, entsteht also nicht einfach durch das Kennen dieser aufgeführten Strategien. Es erfordert vielmehr ein tiefes, intrinsisches Erkennen und eine Auseinandersetzung mit möglicherweise langjährig internalisierten Umgangsweisen und Verhaltensmustern. Es spielen viele unterschiedliche Aspekte mit rein, wie z. B. Mitgefühl und Bewusstsein für sich selbst oder auch Frustrationstoleranz, um sich nicht entmutigen zu lassen, immer wieder für sich selbst einzustehen, wenn es mal nicht so gut funktioniert oder die Reaktion nicht wie gewünscht ist.

Die hier dargestellten Gedanken stellen somit nicht etwas Abgeschlossenes dar, sondern eher einen Ausgangspunkt. Ob und wie eine Strategie wirkt, kann sehr unterschiedlich sein. Bei manchen Personen kann bereits ein einzelner Ansatz schnell unterstützend und bestärkend wirken, während es bei anderen Personen wiederholtes Anwenden, Übung, eine Verinnerlichung sowie Prozesse des (Ver-)Lernens benötigt. Selbstvertretung ist als ein individualisierter und dynamischer Prozess zu sehen.

I have come to believe over and over again that what is most important to me must be spoken, made verbal and shared, even at the risk of having it bruised or misunderstood.” (Audre Lorde).

Das Zitat verdeutlicht die Wichtigkeit, die eigene Wahrheit immer wieder auszusprechen. Aus Integrität, Liebe und Achtung zu sich selbst und dabei den eigenen Gefühlen und Bedürfnisse einen Wert zu geben, trotz des Risikos vielleicht nicht gehört zu werden.

Selbstvertretung erfordert Mut, und manchmal können wir etwas verlieren, doch ich denke, wir gewinnen viel mehr, vor allem an Selbstfürsorge, Liebe und Respekt für uns selbst. Und wir sprechen auch für die, die sich nicht getraut haben und können dadurch Veränderung schaffen im Denken, im Selbstverständlich nehmen, im Bagatellisieren von Ungerechtigkeiten – auf beiden Seiten. Und auch wenn nicht garantiert werden kann, wie eine Situation am Ende ausgeht, bedeutet Selbstvertretung, dass Schwangere und Gebärende sich für sich selbst entschieden haben. Ja zu sich selbst und, bei Bedarf, ein Nein zum Außen. Sie silencen sich nicht selbst und das ist selbstermächtigend. Das ist eine wertvolle Fähigkeit für das Leben und kann auch andere Menschen inspirieren dasselbe zu tun.

Literaturverzeichnis:

Afrozensus by Each One Teach One (EOTO) e.V. & Citizens For Europe (CFE) (Hrsg.) (2020): Afrozensus 2020. Communities, Diskriminierung und Empowerment in Deutschland. Online verfügbar unter: https://afrozensus.de/reports/2020/Afrozensus-2020.pdf

Can, Halil (2011): Soziale (Un)Gerechtigkeit: Kritische Perspektiven auf Diversity, Intersektionalität und Antidiskriminierung, María Do Mar Castro Varela/Nikita Dhawan (Hrsg.)

Harts, Minda (2022): You are more than magic: The Black and Brown GirlsGuide to Finding Your Voice, Penguin.

Hintjens, Helen (2024): Die Politik von Kunst, Tod und Zuflucht: Die Wende, Springer.

Högemann, Lena (2024): So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen!: Was Frauen für eine selbstbestimmte Geburt wissen müssen | Schutz vor und Verarbeitung von Übergriffen in der Geburtshilfe.

Lorde, Audre (2021): Sister Outsider: Nicht Unterschiede lähmen uns, sondern Schweigen, btb Verlag.

 

Jennifer Tamara Akouvi Lotsi (sie/ihr). Schwarz. neurodivergent. Sie ist ausgebildete Erzieherin und steht kurz davor, ihr Studium der Sozialen Arbeit abzuschließen. Bereits während ihres Studiums setzte sie sich mit unterschiedlichen Diskriminierungsdimensionen auseinander, insbesondere mit Anti-Schwarzem Rassismus, Adultismus und Sanismus. Dabei vertiefte sie ihren Fokus auf machtkritische Bildungsarbeit sowie Community Empowerment. Sie gibt Workshops an Schulen zur Diskriminierungssensibilisierung mit dem Schwerpunkt Rassismus. Zuletzt leitete sie einen Schwangerschaftskreis, der sich auf die Perspektiven und Erfahrungen von Schwarzen, of Color und queeren rassismusbetroffenen Personen konzentrierte. In ihrer Abschlussarbeit hat sie sich damit auseinandergesetzt, welche Empowermentstrategien dazu beitragen können, Anti-Schwarzen Rassismus in der Schwangerschaftsvorsorge und Geburtshilfe zu adressieren und betroffene Personen in ihren Selbstvertretungskräften zu stärken. Jennifer lebt in Berlin und ist Mutter eines Sohnes. ⭐️

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